99 Jahre Hörspiel in der Schweiz

Foto: Unternehmensarchiv SRF, Radiostudio Zürich

In diesem Blog möchte ich wichtige Produktionen aus der nun hundertjährigen Hörspielgeschichte vorstellen und übergreifende Zusammenhänge klären.

Wer sich weiter in das Thema vertiefen möchte, findet auf meiner Homepage Quellenangaben, detaillierte Informationen, Links und Verzeichnisse, die weiterhelfen. Hier der Pfad dorthin:

Das Deutschschweizer Hörspiel 1925 – 1990

Die Schweiz als Kriminalfall

Zögerlicher Anfang

Wer annimmt, dass Kriminalstoffe aufgrund ihrer enormen Beliebtheit beim deutschsprachigen Publikum in den zwanziger und frühen dreissiger Jahren1 von Anfang an auch im Hörspiel verarbeitet wurden, der wird über das magere Angebot an Kriminalhörspielen von Schweizer Autoren bis hinein in die sechziger Jahre erstaunt sein. Am Anfang steht eine «kriminelle Angelegenheit» von Fr. In der Bitzin mit dem Titel «Die Jungfernfahrt» (1935). Diese Produktion blieb vorerst ohne Konkurrenz, obwohl sich Hermann Schneider schon 1930 in seinem Bühnenstück «Die grieni Hand!» über den «Kriminal- und Detektivgeschichtenrummel» lustig gemacht hatte.2 Der damalige Redaktor der «Zürcher Illustrierten», Friedrich Witz, erinnerte sich, dass die Redaktionen von Schweizer Zeitungen Mitte der dreissiger Jahre «mit „Mord-Geschichten“ nur so überhäuft» wurden.3 Das Fehlen eines entsprechenden Hörspielangebots von Schweizer Autoren ist zum Teil wohl mit den sehr niedrigen Honoraren zu erklären, die Radio Beromünster für Hörspielmanuskripte zahlte. Dass im Übrigen auch die Zeitungen nicht mit angemessenen Honoraren glänzten, ist etwa in Max Frischs erstem Tagebuch nachzulesen. Thriller von ausländischen Autoren zogen wohl deshalb schon mehr, weil sie den Radiohörern einen exotischen Reiz boten, der einheimischen Produktionen ganz und gar abging. «Der Herr Nummer 24», der in der Programmzeitschrift nach Illustriertenart gross vor der Kulisse von Rio de Janeiro aufgemacht wurde, und der «Mörder Jonny Fahrenheit, Seemann seines Zeichens», der sich auf seiner zwanzig Jahre dauernden Flucht «durch viele Verkleidungen, Berufe, Städte, Erdteile, Lasterhöhlen und -höllen» der Polizei zu entziehen weiss, hatten es leichter als Studer und Wäckerli, zu faszinieren und den Hunger nach trivialer Spannung zu stillen.4 Schwitzke berichtet, dass Kriminalserien in den fünfziger Jahren von deutschen Sendern «grundsätzlich importiert» wurden.5 Für dieses Genre bestand schon in den dreissiger Jahren ein internationales Marktangebot, dessen Ausschöpfung weniger Probleme bot als in anderen Themenbereichen, wo aufgrund der politischen Situation meist Vorsicht geboten war. Wer in der Schweiz ein Hörspiel schrieb, musste die Ehre, vor so zahlreichem Publikum auftreten zu dürfen, als einen Teil des Lohnes betrachten. «Literaturfähige» Themen, die scheinbar höheren Ansprüchen genügten, hatten deshalb Vorrang, auch wenn die betreffenden Werke in Wirklichkeit oft nur den Anforderungen des Laientheaters entsprachen.6

Solche Gründe mögen dafür verantwortlich sein, dass bis zur Produktion von Schaggi Streulis «Polizischt Wäckerli» nicht mehr als drei originale Kriminalhörspiele von Deutschschweizer Autoren gesendet wurden: Studio Bern brachte unter der Regie von Ernst Bringolf von Werner Juker «Treu wie ein Hund» (1943) und von Charles Perret «Die gelben Ballone» (1943). In der Zürcher Produktion von Jürg Amsteins Kriminalhörspiel «Auf seltsamen Wegen» (1947) waren die Zuhörenden aufgefordert, sich als Detektive zu betätigen und, parallel zur Auflösung im Spiel, den Mordfall aufgrund von bewusst platzierten Indizien selbst zu klären. Diesen zeitgemässen Versuch zur Publikumsaktivierung nahm vier Jahre später der einstmals populäre «Radio-Onkel» der RGZ und Autor zahlreicher Detektivromane, Paul Altheer, auf, indem er den Hörern Gelegenheit gab, seinen «kriminalistischen Prolog» mit dem Titel «Feueralarm am Limmatquai» (1951) «weiter zu entwickeln, bzw. auflösen zu helfen.»7 Die weiteren Folgen der zehnteiligen Reihe wurden unter dem Titel «Wir bauen ein Kriminalstück» gesendet (1951/52). Ein Jahr nach dem vorläufigen Ende der Wäckerli-Serie konnte nun eine hinreichende Sensibilisierung des Publikums für «Moralisches und Kriminelles» im schweizerischen Kleinbürgermilieu vorausgesetzt werden, so dass die Stadt Zürich als Ort der Handlung und gewöhnliche Zeitgenossen als Protagonisten in Frage kamen. Einen weiteren Schritt in diese Richtung machten anfangs der sechziger Jahre Hans Gmür und Karl Suter in einer Reihe mit dem Titel «Sie sind Ohrenzeuge», in welcher die Zuhörenden aufgefordert wurden, einen Schluss zu den einzelnen Sendungen zu erfinden und ihre Idee telefonisch mitzuteilen, worauf die beste Variante jeweils live inszeniert wurde.8 Solche Bestrebungen zur Aktivierung der Hörer gab es also im unterhaltenden Kriminalhörspiel schon lange, bevor Paul Pörtner sie als «Radio-Mitspiele für telefonierende Hörer» in die experimentelle Sphäre des Neuen Hörspiels integrierte und ihnen damit publizistische Aufmerksamkeit verschaffte.9 Bezeichnenderweise kam Pörtner in seinem Spiel «Was haben Sie gehört?» (NDR, 1976) auch auf den Krimi.

Vom Fahnderwachtmeister zum Dorfpolizisten

Friedrich Glauser (1896-1938) schrieb keines seiner Werke für das Radioprogramm. Wer sich aber mit schweizerischen Kriminalhörspielen befasst, wird unweigerlich mit seinen «Studer»-Romanen und deren Adaptionen in Film und Hörspiel konfrontiert werden, in denen sowohl der Psycho- wie der Sozio-Krimi präformiert zu sein scheint. Daran lässt sich die Kriminalhörspiel-Produktion bis heute messen.

Friedrich Glauser in der Psychiatrischen Klinik in Münsingen (1931)
(Quelle: Wikipedia / Limmat Verlag)

Als Leopold Lindtberg 1939 den drei Jahre zuvor als Fortsetzungsroman erschienenen «Wachtmeister Studer» nach dem Drehbuch von Richard Schweizer verfilmte, konnte er voraussetzen, dass der Stoff bereits breiten Bevölkerungskreisen bekannt war, obwohl Glauser zu den «Tagesschriftstellern» gerechnet und erst Jahrzehnte später mit der literarischen Wertschätzung bedacht wurde, die ihm gebührt. Der Popularität des Hauptdarstellers Heinrich Gretler, die damals ihren Höhepunkt erreicht hatte, ist es vor allem zuzuschreiben, dass der Film zu einem der bekanntesten und beliebtesten der damaligen Zeit wurde.10 Bei diesem ersten Versuch der Verfilmung eines schweizerischen Kriminalromans hatte es vorläufig sein Bewenden: «Wachtmeister Studer ist der einzige [Film-]Krimi, in dem ein Schweizer Detektiv anhand eines Verbrechens die Schweiz als ein Problem antrifft und stellen muss.»11 Und darum ging es, obwohl der Film Glausers Wachtmeister im Sinne des Zeitgeistes umdeutete und bis zur Unkenntlichkeit entstellte. Mit ihrer Vorlage hatte Gretlers Studer-Interpretation kaum mehr gemeinsam als die obligate Brissago und den umfangreichen Bauch. Die bekannte Figur des Fahnderwachtmeisters wurde, wie Werner Wider zeigt, für die Interpretation durch einen populären Darsteller weitgehend nach den Erfordernissen der Geistigen Landesverteidigung zurechtgestutzt. Ihr facettenreicher, teils widersprüchlicher und unbotmässiger Charakter erhielt, wie so mancher andere Schweizer Filmheld der damaligen Zeit, die eindeutigen Züge eines «Denkmals», das vorführen sollte, wie man einen redlichen Schweizer «darlebt». An die Stelle des im Tonfall variierenden «Chabis!», das dem Studer des Romans noch ebenso viel wert war «wie die kräftigen Ausführungen eines Experten»12, und des ungläubigen «Ah bah» traten Floskeln und autoritäre Befehlsformeln, die «bereits an den Unteroffizierston des Polizisten Wäckerli» erinnerten.13

Heinrich Gretler als „Wachtmeister Studer“ im gleichnamigen Film aus dem Jahre 1939
(Quelle: Wikipedia. Foto: Emil Berna, Praesens-Film AG)

«Erzähl’ einmal die Geschichte von Anfang an», fordert Studer in Glausers Roman den Landjäger auf. «Ich brauch‘ weniger die Tatsachen als die Luft, in der die Leute gelebt haben… Verstehst? So die kleinen Sächeli, auf die niemand achtgibt und die dann eigentlich den ganzen Fall erhellen… Hell!… Soweit das möglich ist, natürlich.»14 In dieser Haltung drückt sich sowohl der Charakter Studers als auch Glausers generelles Anliegen aus. Der Berner Fahnderwachtmeister ist kein schneidiger, mit allen Wassern gewaschener und durchweg erfolgreicher Detektiv, sondern ein beruflich Gescheiterter – eine «Bankaffäre», bei der ihm «höhere Interessen» in die Quere kamen, hat vor Jahren seine Karriere abrupt unterbrochen –,  ein vor der Pensionierung stehender Beamter, der sich alt, krank und müde fühlt, ein Mann von ungewöhnlicher, unhelvetisch-unmännlicher Sensibilität, dem es eben auf die «kleinen Sächeli» und auf die Sorgen der kleinen Leute, der Aussenseiter und ewigen Verlierer, ankommt. Werner Wider bezeichnet diesen Studer gar als «kindlich» in seiner Unkontrolliertheit, und er erscheint ihm als ein «unernster Mann, der oft genug den Kopf über sich selbst schüttelt und nicht ernst genommen werden will.»15 Andererseits verkörpert er den Vater, den sich Glauser gewünscht hätte, und stellt damit ein starkes utopisches Element in der realistischen Schilderung des schweizerischen Alltagslebens dar: eine Instanz nicht nur der Gerechtigkeit, sondern auch der Menschlichkeit in einer ungerechten, heuchlerischen und inhumanen Umgebung. «Dem Wachtmeister entgeht nichts, er sieht so viel wie ein korrupter Potentat, ein korrupter Beamter und ihr Opfer zusammen.»16 Mit seinem intuitiv psychologisierenden Vorgehen hat er in George Simenons Maigret einen Verwandten. Beide, Glauser wie Simenon, stellen den homme nu dar, der durch die Detektion des kriminellen Falles sichtbar und als Gegensatz zum gesellschaftskonformen homme habillé, dem be- und verkleideten Menschen, fassbar wird.17 Mitleid ist Glausers Wachtmeister wichtiger als Gerechtigkeit, und so verzichtet er denn am Ende des «Studer»-Romans darauf, den Täter, der sich selbst gerichtet hat, öffentlich zu überführen, zaudert auch in anderen Fällen öfter, ob er einen Schuldigen der Justiz ausliefern soll. Man könnte Ihn mit Elsbeth Pulver gewlssermassen als «eine vorweggenommene Gegenfigur zu den neuen James-Bond-Helden» charakterisieren.18

Die «Luft», in der seine Personen, auch und gerade jene zahlreichen die Handlung komplizierenden Nebenfiguren, leben, ist Glauser weit wichtiger als die «Tatsachen» der Kriminalhandlung. Diese dienen Ihm eigentlich als Aufhänger und Vorwand für die Untersuchung helvetischer Zustände. Der Kriminalroman als einer der ergiebigsten Bereiche der populären Literatur wird von Glauser benutzt, um Leser zu «erwischen», die Ihren Stoffhunger mit billigen Groschenheften zu stillen pflegen. Er dient ihm in diesem Sinne als «ein Versteck für literarische Leistungen», als «ein Trick gewissermassen, die Welt anzugehen und lesbar zu gestalten.»52 Film- und Hörspielfassungen müssten gerade diese «Luft» der Studer-Romane, die in scheinbar redundanten, für den Fortgang der Handlung unwichtigen Passagen, in nebensächlichen Bemerkungen und sprachlichen Feinheiten und oft auch zwischen den Zeilen fassbar wird, mit ihren spezifischen Mitteln umsetzen. Von Glausers kriminalistischer Durchdringung des schweizerischen Alltagslebens kann bis heute jeder Autor lernen, der mit seinen originalen Kriminalhörspielen mehr als bloss triviale Unterhaltung bieten will.

Von einer werkgetreuen Adaption war die Filmfassung von Schweizer und Lindtberg 1939 weit entfernt. Inwieweit die Hörspielbearbeitung von Glausers Geschichte «Verhör» durch Albert Rösler (1943) ihrer Vorlage verpflichtet war, ist heute nicht mehr nachzuprüfen, da kein Sendemanuskript erhalten Ist. Dies lässt vermuten, dass für die Inszenierung der Originaltext verwendet wurde, wie er am 1933 in der «Zürcher Illustrierten» gedruckt worden war. Da er die Form eines Monologs hatte, eignete er sich vorzüglich für eine unveränderte Übernahme. Gesprochen wurde das Monodrama von Heinrich Gretler, von dem eine Szenenfoto in der Rolle als Studer mit Brissago der Besprechung in der Programmzeitschrift beigefügt war.53 Dieselbe Illustration begleitete die Ankündigung einer Radiobearbeitung von Glausers Studer-Roman «Der Chinese» durch Werner Gutmann (1947), welche, noch im selben Jahr, kurz nach der Premiere von Lindtbergs Verfilmung von «Matto regiert», gesendet wurde. Die Zeiten hatten sich unterdessen geändert: Geistige Landesverteidigung war nicht mehr nötig, und der Kalte Krieg war noch nicht offen ausgebrochen. Während der deutsche Emigrant Alfred Neumann der Vorlage noch weit weniger Respekt erwies als Schweizer und die vielschichtige Handlung des stark autobiographisch geprägten Romans mit viel eigener Phantasie zu einem rein unterhaltenden Krimi-Drehbuch straffte, das in «amerikanischem Tempo» verfilmt wurde51, suchte die Hörspiel-Bearbeitung des «Chinesen» immerhin «weniger das Stoffliche, als die träfe Zeichnung von Land und Leuten» herauszuarbeiten.55

Heinrich Gretler verkörperte aber auch in dieser Produktion den «stiernackigen Studer», der – freilich nach Glauser – mit einem Traktor verglichen wird, der schwer anläuft, dann aber jedes Hindernis nimmt.56 Von da aus war es nur noch ein kleiner Schritt zum Allenwiler Dorfpolizisten Wäckerli, der sich in 17 Folgen mit schwatzhaften Nachbarinnen, zwielichtigen Bardamen, Einbrechern, kleinen Betrügern, bestechlichen Beamten und – wenigstens das noch – mit geringfügigen Verfehlungen seines eigenen Sohnes herumschlägt. Den Zuhörenden wurde nicht mehr ein Offizialdelikt, sondern eine Sammlung von Bagatellfällen vorgesetzt, welche die moralischen Normen des provinziellen Kleinbürgertums nur noch betonten. An die Stelle des Fahnderwachtmeisters der Berner Kantonspolizei trat der «wackere», währschafte Landjäger eines schweizerischen Landstädtchens, den der Autor wohlweislich von seinem weit herum bekannten Vorbild abhob.57

Im Unterschied zu Studer, dem Deklassierten und Aussenseiter, der stets ein ihm fremdes Milieu erforscht, erscheint Wäckerli als sesshafter Kleinbürger, der unter Seinesgleichen für Ordnung sorgt. Neu war vor allem auch, dass der Dialekt nun nicht mehr wie bei Glauser bloss in einzelnen Helvetismen gelegentlich durchschien, sondern dass die Allenwiler und Zugewanderten sich, jeder In seiner Mundart, der allervertrautesten Umgangssprache bedienten. Glausers Fahnderwachtmeister meldete sich auch in den fünfziger Jahren mehrmals am Radio zu Wort. Von Hans Rych stammte eine Hörspielfassung des Romans «Wachtmeister Studer» (1953), und Peter Lotars fünfaktiges Volksstück «Wachtmeister Studer greift ein» aus dem Jahr 1948 nach «Krock & Co.» in der Mundartbearbeitung von Hans Haeser wurde von Albert Rösler inszeniert (1954), der Jahre zuvor schon eine Hörfolge über Glauser nach biographischen Skizzen von Friedrich Witz zusammen gestellt hatte (1948).58 Diese Sendung und auch weitere Bearbeitungen von Glausers Werken wie etwa C.F.Vauchers Hörspiel nach dem Legionsroman «Gourrama»59 zeigen an, dass der Verfasser der populären «Studer»-Romane auch literarisch allmählich ernst genommen wurde. Die filmische Annäherung einer neuen Generation von Schweizer Filmemachern an Glauser mit Hans Heinz Moser in der Hauptrolle kamen den Intentionen des Autors zwar näher, vermochten aber – nach Widers strengem Urteil – die in dessen «Werk schlummernde Filmversprechen keineswegs einzulösen.»60 Adäquatere Hörspielfassungen von Glausers Kriminalromanen, die auch viel Atmosphärisches akustisch vermitteln, hat erst in jüngster Zeit der Berner Dramatiker Markus Michel, selbst Autor von mehr als zehn Originalhörspielen, zustande gebracht.

Wenn es überhaupt legitim ist, Glausers feingesponnene, verschlungene, vielschichtige Romane in ein anderes Medium umzusetzen, was immer eine Straffung und damit auch Verluste bedeutet61, dann müssten sie sich mindestens so getreu an Sprache und Aufbau des Originals halten wie Michels Bearbeitungen, «Wachtmeister Studer» (SWF 1988), «Matto regiert» (SWF 1989) und «Der Chinese» (SWF 1990), die unter der Regie von Martin Bopp vom Südwestfunk und von Radio DRS koproduziert wurden. In der Beteiligung einer ARD-Rundfunkanstalt drückt sich ein zunehmendes Interesse an Glauser auch über die Schweizer Landesgrenzen hinweg aus. Hier bot sich einem grösseren deutschsprachigen Radiopublikum für einmal Gelegenheit, deutschschweizerische Literatur in einer eigenständigen, dem Dialekt nahen standardsprachlichen Form zu rezipieren. Michels Wachtmeister Studer kritisiert die in Amtsdeutsch abgefassten Vernehmungsprotokolle mit den Worten:

«Ja, sehen Sie, Herr Untersuchungsrichter, das scheint mir immer ein grosser Fehler. Ich würde die Worte der Angeklagten wie der Zeugen nicht nur stenographieren, sondern auf Platten aufnehmen lassen. Man bekäme dann jeden Tonfall heraus…»

Das entspricht, abgesehen von geringfügigen stilistischen Änderungen62, wörtlich Glausers Text, und die Worte drücken zugleich den Respekt des Autors gegenüber der Vorlage eines Kollegen aus. Die zitierte Passage scheint sogar eine akustische Realisierung zu legitimieren, welche Studers «Chabis!» konnotative Nuancen von beiläufig bis bitterböse und von versöhnlich bis verächtlich abzugewinnen imstande ist. Einem Schriftsteller, dem der Tonfall wichtig war, wird so im Nachhinein – in Döblins Sinn – das Reich der «tönenden Sprache» erschlossen. Dem Schauspieler und dem Regisseur ist es dann freilich anheimgestellt, Glausers Sprache wirklich zum Tönen zu bringen. Markus Michels Bearbeitungen zeigen, dass in einem Bereich, der seit jeher stark von Bearbeitungen geprägt ist, auch in jüngerer Zeit noch Fortschritte gemacht werden konnten, ja dass offenbar heute erst zufriedenstellende Leistungen auf diesem Gebiet möglich geworden sind.

In Glausers «Studer»-Romanen scheint sowohl der Psycho- wie der Sozio-Krimi präformiert zu sein. Sie eignen sich als Massstab für die Kriminalhörspiel-Produktion bis heute.

Kriminalhörspiele in Serie

Aus einer Serie von Radio Suisse Romande ging eine Krimi-Reihe der Abteilung «Unterhaltung» hervor, deren letzte Folge, «Eusebius Bitterli und das Alibi» (1967), nach 1965 produziert wurde. Nachdem Hans Haeser einige welsche Produktionen übersetzt hatte, war er dazu übergegangen, seine «Abenteuer des unfreiwilligen Amateurdetektivs» selbst zu schreiben. Der Stil dieser Serie war noch «leichter» als jener der «Fährima»-Sendungen und hob sich deutlich von allen Produktionen der Abteilung «Dramatik» ab. Der Laien-Detektiv, von Beruf Autor von Kriminalromanen, der sich wider Willen, aber zwangsläufig in Afrika, in Berlin, auf dem Mars und in der Heimatstadt Basel in immer neue Fälle verstrickt, ist ein Cousin jenes in den sechziger Jahren allseits bekannten Guschti Ehrsam vom Spalenberg 77a, der zusammen mit seiner Frau Luisli während elf Jahren jeden dritten Samstagmittag die Hörer von Radio Beromünster zum schwarzen Kaffee mit seinen Sketches entzückte. Dass die Hauptrollen des Hörspiels von denselben Darstellern, nämlich von Ruedi Walter und Margrit Rainer, gesprochen wurden, schien niemanden zu stören. Nebst der sehr naiven Handlung ist es vor allem die Rolle der dümmlichen Haushälterin, die wohl schon zur Zeit, als die letzte Folge ausgestrahlt wurde, aus dem Rahmen fiel. «Eusebius Bitterli und das Alibi» stellte man den Lesern der Programmzeitschrift auch als «anspruchslosen fasnächtlichen Krimi» vor.63 Dennoch wurde diese Folge 1971 und 1978, die Folge «Eusebius Bitterli kauft ein Souvenir» (1962) 1972 und 1986 noch je einmal wiederholt.

  1. vgl. Marsch, 1972, S.79 ↩︎
  2. Schneider, Hermann, »Die grieni Hand!«, in: SRZ 29/33, S.905; das Stück wurde von Radio Beromünster 1933 als Sendespiel ausgestrahlt. ↩︎
  3. Interview mit Friedrich Witz, »Wo haben Sie das abgeschrieben?«, in: orte. Eine Schweizer Literaturzeitschrift, 8/1976, S.25 ↩︎
  4. E.B., »Der Herr Nummer 24«, in: SRZ 43/37, S.10 f; Das gleichnamige Hörspiel von Fred Ostermoor wurde – wie auch zahlreiche ähnliche unterhaltende Produktionen ausländischer Autoren – von Ernst Bringolf im Studio Bern produziert. ↩︎
  5. Schwitzke, 1963, S.365 ↩︎
  6. . Aus dem Jury-Bericht zum Hörspielwettbewerb 1937/38 geht deutlich hervor, welche Themen von Laien-Autoren dieser Zeit bevorzugt wurden (vgl. SRZ 24/38, S.20). ↩︎
  7. A.W., Wir bauen ein Kriminalstück, in: SRZ 39/51, S.8 f; die Hörer werden in diesem Artikel aufgefordert, aufgrund der Hörspielhandlung eigene Pläne und Skizzen für ihre »Rapporte« anzufertigen (für die erste Folge wird ein Beispiel abgebildet), die dazu beitragen können, das bereits Geschehene aufzuklären. Wer sich noch aktiver beteiligen wollte, konnte »auf hellseherische Weise noch nicht aufgetretene Figuren zur Welt bringen, die dann das Netz des Geschehens vergrössern und darin die Bösewichter fangen.« ↩︎
  8. nach Auskunft von H.Jedlitschka (Interview vom 22.11.89) ↩︎
  9. Pörtner, Paul, Keine Experimente mehr? Überlegungen zum Neuen Hörspiel, in: Schöning, 1982, S.266 ↩︎
  10. Wider, 1981, S.300 und S.299; jeder sechste Schweizer hatte den Studer-Fllm angeblich 1939/40gesehen, (vgl. Wider, S.308) ↩︎
  11. ib„ S.318 ↩︎
  12. GIauser Friedrich, Wachtmeister Studer, Zürich (Arche) 1969, S.47 ↩︎
  13. Wider, 1981, S.313 ↩︎
  14. Glauser, a.a.O., S.72 ↩︎
  15. Wider, 1981, S.317 ↩︎
  16. ib„ S.302 ↩︎
  17. vgl. Roloff/Seesslen, 1981, S.100 ↩︎
  18. Pulver, 1974, S.183 ↩︎

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