Radio-Bashing in Kleinbürgers guter Stube
Paul Altheer inszenierte 1926 keine tumultuöse Studio-Groteske wie die Frankfurter Pioniere, sondern führt das lauschende Publikum ans andere Ende der Sendekette: in die Stube der radiohörenden Familie Bader. Die gesamte Dramatik entwickelt sich rund um den soeben erworbenen «Fünflampenapparat», entsprechend dem Titel des Einakters. Als «Lampen» wurden Radioröhren bezeichnet, die Mitte der zwanziger Jahre noch freistehend auf den Empfängerkasten aufgesteckt waren. Das Modell, das der Sohn Schang (Jean alias Hans) für seine Familie erstanden hat, gehörte damals mit seinen fünf Verstärkerkreisen sicher zum Luxus-Segment. Es wird am Ende vom Vater brachial zertrümmert.
Altheers Stück bringt die Gruppendynamik der vor dem neuen Radioapparat versammelten Kleinbürgerfamilie zu Gehör. Darin besteht die ganze, ziemlich triviale Handlung. Bevor es losgeht, müssen freilich die Komponenten des Empfängers (Batterie, Antennenspule, Empfänger/Verstärker und Lautsprecher) umständlich mit Drähten verbunden werden. Das atmosphärischem Rauschen, Krachen und Pfeifen, das den Empfang einer jeweils anderen Station einleitet, bildet die Rahmenstruktur für das wilde Programm-Potpourri verschiedener Sendestationen von Berlin bis Paris, von Basel über Bern bis Zürich. Die mit Klischees gespickten Kommentare der Zuhörenden werden vom Grundgegensatz zwischen Alt und Jung, Skepsis und Euphorie vis à vis des neuen Mediums geprägt. Der Vater möchte von Anfang an lieber in Ruhe Zeitung lesen. Gegen Ende des unerwünschten bunten Programms hat er dann doch einen eigenen Wunsch: den Bernermarsch möchte er hören. Da zeigt sich, dass der Rundfunk ein Einwegmedium ist. Als sich keine Sendestation findet, die das ersehnte Stück liefert, richtet sich seine Wut auf das einzige fassbare Element der sich entziehenden Technologie, und er wirft den kostbaren Empfänger in eine Ecke, «dass die Scherben klirren und die Hölzer splittern». Aber es gibt sogleich Ersatz: Der Bernermarsch ertönt nun aus dem Schalltrichter des guten alten Aufzieh-Grammophons.
So einfach kann das Hörspiel heute nicht mehr bis in die Sphäre der Zuhörenden vordringen. Der Radioapparat steht schon lange nicht mehr wie ein Hausaltar im Zentrum der Familie. Das Programm wird selten live kommentiert. Wie aber soll man zeigen, was in Zeitgenossen vorgeht, die auf dem Arbeitsweg oder am Karibik-Strand in ihre EarBugs hineinlauschen? – Die Psyche wäre Ort der Handlung, innerer Monolog müsste den Diskurs unter gemeinsam Hörenden ersetzen.
«Der Fünflampenapparat» erschien kurze Zeit vor der Erstsendung am Radio (am 16.7.1926) in Altheers Schwanksammlung «Das helvetische Bilderbuch», zusammen mit vier anderen Einaktern des Autors, im Nebelspalter-Verlag. Es ist eines der vielen damals beliebten «Vereinsstückli», die landauf landab auf Laienbühnen, aber seit Sendebeginn auch gerne am Radio aufgeführt wurden. Für solche Adaptionen einigte man sich bald schon auf den Begriff «Sendespiel». Von den anderen Elaboraten unterscheidet sich «Der Fünflampenapparat» nur durch das Thema «Radio». In der Radio-Zeitung wurde es vollmundig angekündigt als ein «Stück, das aus dem Milieu des Radios heraus für den Radio geschrieben wurde.» Eigentlich ist es aber ein Sendespiel, das am Radio wie auf der Bühne gleich gut zur Geltung kommt. Das gesuchte «Rundfunkeigenkunstwerk», das eigentliche «Hörspiel», lässt im Programm der deutschen Schweiz noch etwas auf sich warten.
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