99 Jahre Hörspiel in der Schweiz

Foto: Unternehmensarchiv SRF, Radiostudio Zürich

In diesem Blog möchte ich in kurzen Essays wichtige Hörspiel-Produktionen vorstellen. Nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern in der prägnanten Art des Blogging.

Ich lasse mich dabei von subjektiven Interessen leiten – und von den Fragen meiner Leserinnen und Leser, falls solche gestellt werden.

Wer sich in das Thema vertiefen möchte, findet auf meiner Homepage Quellenangaben, detaillierte Informationen, Links und Verzeichnisse, die weiterhelfen. Hier der Pfad dorthin:

Das Deutschschweizer Hörspiel 1925 – 1990

Pionierzeiten von Radio Zürich

«Wir haben jetzt eben atmosphärische Störungen mit Konzerteinlagen gebroadcastet.»

So witzelte Paul Altheer am Mikrophon von Radio Zürich und wunderte sich, dass keiner seiner sauertöpfischen Kritiker darauf reagierte. Für solche Bonmots war er berufen als Redaktor der Satire-Zeitschrift «Nebelspalter» und befähigt als erster Programmleiter und Sprecher der Zürcher Radiogenossenschaft von 1924-26. Schon zu Beginn seiner Tätigkeit wurde er vom Publikum mit dem ehrenvollen Titel «Radio-Onkel» bedacht. Darin drückte sich – trotz Distanz der drahtlosen Übermittlung – die gewünschte Nähe der Sende-Pioniere zu ihren Hörerinnen und Hörern aus.

Altheer fühlte sich nicht nur für die klare Diktion der Sprecher und Sängerinnen vor dem Mikrophon zuständig, sondern auch für die Qualität der Übermittlung, die durch atmosphärische Störungen, vor allem aber auch durch die höchst unvollkommene Sende- und Empfangsapparatur insgesamt beeinträchtigt wurde. Der Empfang der Sendungen hatte etwa die akustische Qualität einer schlechten Telefonverbindung.

Paul Altheer (links, sitzend) und Mitglieder der Radio-Kapelle im ersten Zürcher Studio
(NZZ vom 28.8.1949)

Zur Aufnahme der Programmbeiträge diente in der ersten Zeit meist ein mit Kohlenstaub gefülltes, schweres Marmorblock-Mikrophon in der Mitte des Studios, das an einem Gummiband oder Federn an einem massiven Holz-Stativ aufgehängt war. Der Mikrophonverstärker war ein Veteran, der den ersten Weltkrieg an Bord eines englischen Unterseeboots mitgemacht hatte und hie und da den Dienst versagte. Das erste Zürcher Studio im Amtshaus IV an der Uraniastrasse war mit schalldämpfenden Teppichen und Vorhängen ausgekleidet. Gesendet wurde via Telephonverbindung über eine Hochantenne auf dem Hönggerberg, bestehend aus Drähten, die zwischen zwei 65 Meter hohe Stahlgittermasten gespannt waren. Die Programme wurden live gesendet, abgesehen von wenigen eingestreuten Schallplattenaufzeichnungen, die es damals schon gab. Die meiste Musik wurde von der zunächst vierköpfigen Radio-Kapelle gespielt, die um das Mikrophon versammelt war. Nach ein paar Jahren entdeckte man, dass sich die Qualität musikalischer Darbietungen durch einen Echoraum verbessern liess. Im neuen Studio an der Sihlporte musste das geräumige Badezimmer der Hauswart-Familie dazu dienen, was gelegentlich zu Benutzungsengpässen führte.

Da lag es nahe, den hektischen Betrieb in einem solchen Studio zum Thema eines ersten «Hörspiels» zu machen. Diese Idee hatten aber nicht die Zürcher Radio-Pioniere, sondern – ganz zu Beginn schon – Hans Flesch, der Intendant der Frankfurter Rundfunkanstalt. Er inszenierte am 24. Oktober 1924 in seiner Funk-Groteske «Zauberei auf dem Sender» eine solche Live-Produktion, die aus dem Ruder läuft und beinahe in der Katastrophe endet. Fleschs Hörspiel, das erste im deutschen Sprachraum, ist bis heute legendär. Radio Zürich strahlte 1926 ein Sendespiel aus, das im Kontrast dazu den Empfang von diversen Radioprogrammen in der Stube einer Kleinbürgerfamilie zum Thema hatte: Paul Altheers «Der Fünflampenapparat».

Paul Altheer, erster Sprecher und Sendeleiter von Radio Zürich 1924-26
(Bild: Schweizerische Radio-Zeitung SRZ, 1. Jg., Nr. 14, 12.10.1924, S.131)

* * *

Im Folgenden sollen ein paar Zeitzeugen zu Wort kommen, die den Beginn des «Unterhaltungsrundspruchs für alle» in der Schweiz miterlebt haben.

Rückblick (1933) von H. Gwalter, Präsident der Radiogenossenschaft in Zürich (RGZ):

Die Entwicklung von Radio Zürich

«Vor nunmehr 10 Jahren waren eine Reihe schweizerischer Unternehmer an der Arbeit, eine schweizerische Radiosendestation ins Leben zu rufen. Die dahtlose Lautübertragung war damals noch wenig bekannt. Von England herüber kamen die ersten alarmierenden Nachrichten über die neuesten Errungenschaften auf dem Radiogebiet. Besonders Glücklichen gelang es, mit ihren noch recht komplizierten Apparaten Konzerte oder Ansprache, begleitet von viel Krachen, aus dem Aether aufzufischen.

In der Folge taten sich die Initianten zusammen zu einem Initiativkomitee, mit der Aufgabe, eine Genossenschaft zu bilden zum Bau und Betrieb einer oder mehrerer Sendestationen. Diese Genossenschaft sollte Schweizerische Radiogenossenschaft heissen. Es bestand also schon damals die klare und weitschauende Absicht, ein schweizerisches und nicht ein lokales Werk zu schaffen. Leider scheiterte diese Absicht, der Titel „Schweizerisch“ musste fallen gelassen werden zu gunsten der lokalen Bezeichnung. Erst 8 Jahre später, nach mühsamen Verhandlungen, verwirklichte sich dieser ursprüngliche Gedanke, allerdings in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht in weniger zweckmässiger, in der Beschaffung abwechslungsreicher, guter Programme aber in mindestens ebensoguter, ja sogar vielseitigerer Weise.

Unbekümmert um diese erste Enttäuschung arbeitete das Initiativkomitee weiter und brachte innert kurzer Zeit, im besondern dank des kleinen Senders, mit dem der Radioklub Zürich Propagandasendungen durchführte, die Mittel zusammen, die es erlaubten, den ersten selbständigen schweizerischen Rundspruchsender aufzustellen. Im Amtshaus IV der Stadt Zürich konnten zwei Räume für Studio und Bureau gemietet werden. Das Studio war kleiner als der neue mittlere Senderaum, das Bureau diente als Bureau, Apparateraum und Wartezimmer. Es ging! Am Anfang waren die relativ wenigen Hörer noch entzückt über die neue, fast unfassliche Erfindung und die kleine Hauskapelle von 4 Mann.

Schon nach einem halben Jahr war die Zunahme der Hörer so ermunternd, dass zwei neue Räume zugemietet wurden. Unser wackerer Sender von 500 Watt auf dem Bergrücken ob Höngg sandte seine Strahlen bis nach Tromsö und bis an den Suezkanal. Er hatte noch wenig Konkurrenz. In unseren Nachbarstaaten begann die Radiobewegung erst. Er konnte sich aber dieser Stellung nicht allzu lange erfreuen. Es entstanden in der Schweiz, besonders aber in den uns umgebenden Staaten neue stärkere Sender und dank der grösseren Einkünfte auch bessere Programme als in unserem Studio.

Das Orchester, dessen Darbietungen zum eisernen Bestand unserer Programme gehörten, wurde vergrössert, und bald genügten auch die Räume im Amtshaus IV nicht mehr; besonders das Studio wurde zu klein. Im Herbst 1927 bezogen wir die Lokale in der „Sihlporte“ mit sogar zwei Studios, einem besondern Apparateraum, 3 Bureaux und einem Wartezimmer. Es schien uns, wir seien fast luxuriös und für viele Jahre reichlich genug eingerichtet. Aber mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten.

Der Zusammenschluss der fünf schweizerischen Sendegesellschaften und ganz besonders die beiden starken Landessender stellten unsere Aufgabe auf eine ganz andere Basis. […]

So entschloss sich die Generalversammlung der Radiogenossenschaft in Zürich vom 9. April 1932 zum Bau eines neuen, eigenen Studiogebäudes. Studienreisen nach Frankfurt, Berlin und Rom und eigene Ueberlegungen bildeten die Grundlagen zu dem heutigen Studiohaus von Radio Zürich. Es ist das erste in der Schweiz, das ganz einer Sendegesellschaft gehört und nur dem Radio dient. Es ist nach den neuesten akustischen Erfahrungen gebaut; unsere Hörer mögen urteilen, ob es gelungen ist oder nicht.» 1

Radiostudio Brunnenhof, 1933 am Stadtrand von Zürich neu erbaut (Foto: Archiv SRF, © K.Egli)

Von Hörspielen oder Ähnlichem war in der Bekanntmachung im «Schweizerischen Handelsblatt» noch nicht die Rede:

«Unter der Firma Radiogenossenschaft in Zürich (R.G.Z.) hat sich, mit Sitz in Zürich, am 16. Februar 1924 eine Genossenschaft gebildet. Dieselbe bezweckt den Bau und Betrieb einer oder mehrerer Radiotelephonie-Sendestationen für öffentlichen Rundspruch (Broadcasting) auf Grund einer Konzession. In deren Aufgabenkreis fallen: Vorträge und Vorlesungen künstlerischen, wissenschaftlichen und literarischen Inhalts, Radiokonzerte, Wetterberichte, Zeitangaben, Tagesneuigkeiten und Bekanntmachungen von allgemeinem und öffentlichem Interesse. Der Ausbau und eine eventuelle Erweiterung dieses Programmes im Einvernehmen mit der Obertelegraphendirektion als Aufsichtsbehörde bleiben vorbehalten.» 2

Paul Altheer, der erste Mann am Mikrophon von Radio Zürich, hält Rückschau nach 25 Jahren:

Hallo! Hallo! Hier Welle 515

«Was war das für eine Zeit! Der erste Weltkrieg lag hinter uns – und ein Hauch aus dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten war zu uns herübergeweht.

„Radio“, hiess das Wunder, und es war wirklich ein Wunder! Man sprach im Zürcher Amtshaus IV, oben, in einem verlorenen Zimmer, das man Studio nannte, in ein Kästchen hinein – und tausendfach, in der halben Welt wurde man gehört, verstanden, ja sogar beantwortet. Aber dieses Wunder wollte gepflegt sein. Das Mikrophon musste Futter haben, wenn es sprechen, singen und musizieren sollte. Mit bebenden Herzen standen die ersten Künstler, die wir zu engagieren vermochten, vor diesem Wunderkästchen. Und mehr als einer war im Grunde genommen höchst verwundert, dass ihm dabei weder an Leib noch Seele ein Leid geschah. Aber diese Angst vor dem Mikrophon hat unsre Arbeit schwer und kompliziert gemacht.

Wenn heute ein grosser Teil der Arbeit der Programmleitungen darin besteht, das Zuviel an Zustrom zum Mikrophon abzuwehren, so mussten wir damals jeden einzelnen herbeiholen. Wie kranken Rossen haben wir ihnen zureden müssen, damit sie sich vor das Mikrophon wagten. Viele fürchteten für ihren guten Ruf, für das Ansehen ihres Berufes oder Standes. – Was war das für eine feierliche Stimmung im ganzen Betrieb, wenn es gelang, einen wirklichen Gelehrten herbei zu schleppen.» 3

Paul Altheer publizierte auch einen Radio-Roman: «Hallo! Welle 515!», Zürich (Orell Füssli) 1925
  1. Schweizerische Illustrierte Radio-Zeitung SIRZ, Nr. 19/33, 5.5.1933) ↩︎
  2. ib. ↩︎
  3. Schweizer Radio-Zeitung (SRZ) 33/49, S.12 ↩︎

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