99 Jahre Hörspiel in der Schweiz

Foto: Unternehmensarchiv SRF, Radiostudio Zürich

In diesem Blog möchte ich in kurzen Essays wichtige Hörspiel-Produktionen vorstellen. Nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern in der prägnanten Art des Blogging.

Ich lasse mich dabei von subjektiven Interessen leiten – und von den Fragen meiner Leserinnen und Leser, falls solche gestellt werden.

Wer sich in das Thema vertiefen möchte, findet auf meiner Homepage Quellenangaben, detaillierte Informationen, Links und Verzeichnisse, die weiterhelfen. Hier der Pfad dorthin:

Das Deutschschweizer Hörspiel 1925 – 1990

Lachen als Ursprung des Hörspiels in der Schweiz

Komödien aller Art waren von Anfang an zahlreich im Radioprogramm vertreten, da man in diesem Genre auf ein reichhaltiges Repertoire an Laientheaterstücken von Schweizer Autoren zurückgreifen konnte, die sich beim Publikum grosser Beliebtheit erfreuten. Schon der zweite so genannte «Hörspielabend» vom 4. Februar 1925 brachte den Bauernschwank «Das Kälberbrüten» von Hans Sachs nebst dem Vorspiel zu Jakob Bührers Zauberposse «Die beiden Eidgenossen in der Unterwelt». In dieser Kombination zeigt sich schon die Traditionslinie dieser Art von volkstümlicher Komik. In den ersten beiden Jahren des Sendebetriebs der Radiogenossenschaften in Zürich, Bern und Basel wurden – Wiederholungen nicht eingerechnet – gut drei Dutzend Lustspiele, Schwänke, Grotesken und Satiren, meist in Dialekt, aufgeführt, unter anderem von Paul Altheer, Richard Schneiter, Jakob Bührer, Alfred Huggenberger, Jakob Stutz, Arnold Kübler, Otto von Greyerz, Rudolf von Tavel, Karl Grunder, Dominik Müller und Moritz Ruckhäberle. Der Anteil dieser komischen Produktionen entspricht etwa sechzig Prozent aller Inszenierungen der Jahre 1925 und 1926. Grösster Beliebtheit erfreuten sich die grotesken Revueszenen aus Schneiters Unterhaltungsprogramm «Der röslirote Krähenvogel», die zusammen mit Altheers satirischen Einaktern des «Helvetischen Bilderbuches» die unterste qualitative Stufe dessen markieren, was an Komödien im Programm des Schweizer Radios bis heute gesendet wurde.

Man könnte mit Spott und Missbilligung auf diesen Beginn mit mehr oder weniger trivialen «Vereinsstückli» aus dem Milieu des Volkstheaters hinunterschauen. Aber in diesem Humus wurzelt das Deutschschweizer Hörspiel mit bedeutenden Auswirkungen bis heute. Diese für die Laienbühne geschriebenen Stücke sind ein Reservoir der dialektalen Vielfalt und bewahrten die Hörspielpioniere der Deutschschweizer Sendestationen anfangs davor, die weitgehende Normierung ausländischer Sender nachzuahmen, die für das standardsprachliche Hörspiel schrittweise übernommen wurde und die bis 1965 die Produktion mit fast ausschliesslicher Gültigkeit bestimmte. Im Dialekthörspiel hingegen sah ein deutscher Theoretiker in den sechziger Jahren eine besondere Qualität des Schweizer Hörspiels – zu Recht, wenn auch in dieser Beschränkung zu Unrecht mit dem Beigeschmack des Provinziellen. Die internationalen Erfolge von Dürrenmatt, Frisch und Oberer rechnete er offenbar nicht zu den Leistungen des Schweizer Hörspiels.

Die einaktige Groteske «Der Fünflampenapparat» (1926) von Paul Altheer wurde als erster schweizerischer Versuch vorgestellt, ein «richtiges» Radiohörspiel «aus dem Milieu des Radios heraus für den [sic] Radio» zu schaffen. Wesentlich anspruchsvoller, wenn auch nicht eigens für die Inszenierung am Radio geschrieben, waren die politischen Satiren des Zyklus «Das Volk der Hirten» von Jakob Bührer, der ein Vorläufer des schweizerischen Kabaretts, beginnend mit dem berühmten «Cabaret Cornichon», war. Als Versuch eines praktischen Beitrags zur Hörspieldebatte wurde 1927 Arthur Manuels einaktige Tragikomödie «Der Holzwurm» inszeniert und als erstes von sechs geplanten «radiomässigen» Hörspielen heiteren Charakters gesendet. Das Textbuch ist nicht überliefert, doch scheint es sich wie beim «Fünflampenapparat» eher um ein einaktiges Kammerspiel zu handeln, das den bisherigen Lustspiel-Adaptionen noch sehr nahe steht.

Mit Willy Pfisters «Hörerkonferenz im Studio Zürich» (1935), die als eine «tragikomische Angelegenheit» angekündigt wurde, in Wirklichkeit aber nichts als eine radiophone Farce auf dem Niveau von Altheers frühen Sendespielen war, begann sich in Zürich eine Entwicklung anzubahnen, die über Jahrzehnte hinweg andauerte und zu zahlreichen Hörspielzyklen mit heiterem Einschlag führte. Pfister verlegte im Gegensatz zu Altheer, dessen «Fünflampenapparat» die Qualen der Hörerinnen und Hörer beim häuslichen Empfang aufs Korn nahm, die Handlung seiner «Hörerkonferenz» ins Zürcher Studio, wo der Sprecher, «Herr Wälti», also Arthur Welti persönlich, sich der Kritik der versammelten Hörerschaft an der Programmgestaltung stellt. Diese wird laufend, zum Teil in unfreiwillig komischer Form, vom Publikum selbst vorgetragen. «Heute haben wir jurifreies [sic] Radio»: Diese Ausnahmesituation führt zu heftigen, schweizerdeutsch geführten Auseinandersetzungen über die gegensätzlichen Wünsche und Beurteilungen, ja sogar zu tumultartigen, teils handgreiflichen Szenen, die der tapfer hochdeutsch moderierenden Sprecher mit Mühe unter Kontrolle hält. Die Veranstaltung endet mit dem feierlichen Chorgesang aller Versammelten «Mir sind die schwyzerische Hörerkonferenz» zur Melodie des Zürcher Sechseläutenmarsches. Diese Hörspiel-Karikatur des Publikums und seiner disparaten Wünsche hatte, abgesehen von der fingierten Hörerbeteiligung, das Format eines «bunten Programms», wie es seit Beginn der Radioemissionen aus musikalischen Darbietungen und meist heiteren Wortbeiträgen, unter anderem auch Sketches von Schneiter und Altheer, zusammengestellt wurde.

Was Pfister als Thema einer komischen Produktion behandelte, entwickelte sich nach Kriegsbeginn zu einem revueartigen Sendegefäss für Chansons, Gedichte in «Nebelspalter«-Manier und heitere, satirische, kabarettistische Szenen, die für das Radio geschrieben, aber teils auch gedruckt und dem Laientheater zur Übernahme angeboten wurden. «Kaleidoskop: Miniaturen des Monats» hiess 1940 ein regelmässig ausgestrahltes Programm dieses Typs mit Wortbeiträgen von Arthur Welti, Albert Rösler, Jakob Stebler, Elisabeth Thommen und vielen anderen Autoren, das musikalisch von Hans Steingrube geleitet wurde. Im folgenden Jahr wurden diese bunten Monatssendungen zur heiteren Chronik eines Achtfamilienhauses mit der Adresse von Radiostudio Zürich weiterentwickelt: «Brunnenhofstrasse elfundzwanzig. Monatsgeschichte eines Hauses» (1941) war ein «Fortsetzungshörwerk» im Sinne der gegen Ende der dreissiger Jahre in den USA und in England beliebten family serials. Für eine gewisse thematische Konstanz garantierten die Personen, Bewohner des Hauses, doch war die Handlung der einzelnen Fortsetzungen nach dem Muster des episodischen serials in sich geschlossen. Dem Schema des episodischen Fortsetzungszyklus mit monatlichen Folgen entsprach auch die zwölfteilige Reihe «Gross- und Kleinbäckerei Tünkli. Eine heitere Familienchronik» (1944) von Max Werner Lenz, Arthur Welti und Emil Hegetschweiler, welche sich von der «Brunnenhofstrasse» durch eine fortlaufende, wenn auch nur vage strukturierte Spielhandlung unterschied. Diese beliebte Reihe wurde 1944 mit dem Radiopreis für das beste Hörspiel des Jahres ausgezeichnet.

Die für die kommerziellen amerikanische Radioprogramme typischen integrierten Fortsetzungszyklen, deren Folgen in Inhalt und Aufbau eng miteinander verknüpft sind, konnten sich im Programm des Schweizer Radios erst etwas später durchsetzen. Auch die nach dem Krieg produzierten Serien bestanden zunächst aus episodischen Folgen, die durch Figuren, Handlungsort und Zeit, gelegentlich auch durch einen übergreifenden Handlungsbogen von allerdings geringer Bedeutung, miteinander verbunden sind. «Hotel Alpenblick. Heitere Monatschronik» in neun Folgen (1945/46) konnte mit einem treuen Stammpublikum rechnen, das sich auf die Freuden und Sorgen der Familie Tünkli eingestellt hatte. Zu einem «Strassenfeger» (da zur Sendezeit angeblich die Strassen leergefegt waren) entwickelte sich erstmals Schaggi (Jakob) Streulis 17-teiliger Zyklus «Polizischt Wäckerli. Moralisches und Kriminelles aus Allenwil» (1949/50), die wohl berühmteste Schweizer Dialekt-Hörspielfolge, die mit dem Zürcher Hörspielpreis für das Jahr 1949 ausgezeichnet und sogar im Ausland von der Presse beachtet wurde. Wie der Untertitel erkennen lässt, bildet das heitere Element nicht mehr eine strukturelle Konstante wie in den bisherigen Zyklen, doch bietet die breite Schilderung des kleinbürgerlichen Alltags genügend Raum für Situations- und Charakterkomik in einzelnen Szenen. Vor allem Typen wie die klatschsüchtige Frau Wuhrmann, der leichtlebige Töbeli Junior, der mit seiner Redseligkeit beim Publikum eine eigentliche Epidemie, die «Döbelitis», auslöste, sowie dessen Kumpane und Nachfolger aus späteren Produktionen, Feusi und Hügü-Vögeli, sorgten für das obligate Mass an humoristischer Würze. Der Ortsname Allenwil kann zugleich «jederzeit» und «überall» bedeuten (wobei Letzteres auf die Schweiz und genau genommen auf den Kanton Zürich zu beschränken wäre). Der Name der Hauptfigur endet typischerweise mit einem Diminutiv auf -li, und das Adjektiv «wacker» drückt mit seinen Bedeutungsnuancen (nach Duden: anständig, rechtschaffen, ehrlich, redlich; tüchtig, tapfer; sich frisch und kraftvoll einsetzend) das Selbstverständnis des dargestellten und des angesprochenen Kleinbürgers perfekt aus.

Die vorwiegend aus heiteren, teils kabarettistischen Einzelszenen bestehenden bunten Monatssendungen hatten sich bis Ende der vierziger Jahre allmählich zu kohärenten Hörspielzyklen entwickelt, in denen das Komische nur noch ein Moment unter anderen darstellte und die allenfalls durch ihren glücklichen Ausgang mit der Struktur der Komödie übereinstimmten. Als Ganzes und im Hinblick auf ihre hauptsächliche Thematik sind aber diese Produktionen von der «Tünkli«-Serie an als unterhaltende Familienserien zu bezeichnen. Dies gilt auch für den «Wäckerli«-Zyklus, obwohl dieser in der Regel eher als episodische Kriminalhörspiel-Produktion aufgefasst wird. Die Kriminalkomödie scheint überhaupt bei den Schweizer Autoren beliebt zu sein, was seine Ursache vielleicht in einem Hang zur folkloristischen Verniedlichung der «Heimat» und dementsprechend in einer Präferenz seitens der Produzenten und des Publikums für solche Kriminalhörspiele hat, welche die Realistik der Verbrechensdarstellung hinter einer durch Komik verfremdeten, eindeutig fiktiven Konzeption zurücktreten lassen.

Aus der Krisenzeit vor dem zweiten Weltkrieg stammt ein erfolgreicher Versuch, der durch seinen musikalischen Charakter und durch die Person des Komponisten Hans Steingrube mit den «Kaleidoskop«-Sendungen verwandt ist. Jürg Amsteins Erstling «Susi erobert Zürich» (1937) wurde zwar als «heiteres Hörspiel» angekündigt, enthielt aber in seiner Handlung Ansätze zu einer Form, die Paul Lang 1931 in seiner «Rundspruchästhetik» unter dem Titel der «Radio-Operette» als ein «zukunftsreiches Genre» empfohlen hatte. Nach einer Wiederholung im Jahr darauf wurde das sehr erfolgreiche Hörspiel 1941 neu einstudiert und auf Band aufgezeichnet, was schon auf die grosse Bedeutung schliessen lässt, die man der Produktion zumass.

Ines Torelli, Darstellerin von Susi in Arthur Weltis Neu-Inszenierung von Amsteins Komödie (1955)
(Bild: SRF-Archiv)

1955 wurde «Susi» in einer der neuen Zeit leicht angepassten, musikalisch erweiterten Version mit Ines Torelli in der Hauptrolle von Neuem inszeniert und dem Publikum nun als «Radio-Operette» vorgestellt, obwohl es sich wohl doch eher um eine «Posse mit Gesang» handelt, in welcher die gesungenen Partien als musikalische Einschübe fungieren. Die Gattungsbezeichnung «Radio-Operette» war im Beromünster-Programm erstmals 1941 explizit in einer Produktion der eingespielten «Kaleidoskop«-Macher Albert Rösler, Arthur Welti und Hans Steingrube aufgetaucht. Radio-Operetten waren aber, schon wegen des finanziell grösseren Aufwandes, auch fortan eher eine Seltenheit. In den sechziger Jahren geriet diese Spielart des komischen Genres in Vergessenheit.

Die Geschichte der aus Deutschland zurückgekehrten Auslandschweizerin Susi, die als Verse sprechende «Liftmamsell» in einem Zürcher Warenhaus Furore macht, ist eine Liebeskomödie, die aber auch einer Schwankfigur wie August Nägeli, einem Kunden vom Land, breiten Raum für seine burlesken Einlagen lässt. Nägeli ist die wichtigste zürichdeutsch sprechende Person und damit ein sprachlicher Gegenpol zu Susi, die sich als Auslandschweizerin mit ihren Gesprächspartnern hochdeutsch unterhält. Trotz ihrer Schlichtheit weist die Handlung, die in einer grösseren Stadt in einem Warenhaus spielt, über die kommende Zeit hinaus, deren Hörspielhelden – der Allenwiler Dorfpolizist Wäckerli, Landarzt Dr. Hilfiker, Gotthelfs Emmentaler Bauern – ein provinzielles Bild der Schweiz noch über Jahrzehnte konservierten. Amstein hat später weitere Radiokomödien mit Musik geschaffen, die nicht so stark beachtet wurden wie «Susi». Bis heute berühmt ist das musikalische Lustspiel «Der schwarze Hecht» von Paul Burkhard, dessen Libretto Jürg Amstein zusammen mit Emil Sautter schrieb.

Als Beispiel einer ernstzunehmenden Dialekt-Komödie auf hohem Niveau muss hier eine «komische Geschichte» erwähnt werden, «die beinahe ernst wurde», wie es im Untertitel von Arthur Weltis «Napoleon von Oberstrass» (1938) heisst. Diese historisch-politische Parabel wird als wohl wichtigste Produktion der Vorkriegszeit in einem anderen Beitrag ausführlich besprochen. Der über Jahrzehnte andauernde Erfolg dieses Werks, dessen kritische Bedeutung von der Jury des Hörspielwettbewerbs 1937/38 erkannt und «berücksichtigt» wurde, indem man ihm nur den dritten Preis zusprach, beruht zu einem guten Teil auf der Popularität des Dialekthörspiels einerseits, der Komödie andererseits. Beides verstand Welti als erfahrener Hörspielmacher und Gestalter unterhaltender Programme für die mit Absicht historisch vermittelte Darstellung einer höchst aktuellen Problematik nutzbar zu machen. Dass die Episode des Napoleonhandels eigentlich «Stoff für eine politische Satire» geboten hätte, sah Welti selbst, doch entschloss er sich, wohl nicht zum Nachteil der Sache, für die mildere Form der Komödie mit versöhnlichem Ausgang.

Von den Dialektkomödien, die nach dem Krieg in grösserer Zahl entstanden, seien im Weiteren nur noch Paul Schenks preisgekröntes Hörspiel «Rencontre z’ Peterlinge» (1948) sowie zwei Werke von Albert Jakob Welti, «Bureau SOS oder Ludwig XIV.» und «Die Wolfsmilchwirtschaft» (beide 1950), erwähnt. Anstelle einer weiteren aufzählenden Bestandsaufnahme wenden wir uns nun der Analyse einer einzelnen Hörspiel-Komödie zu, in der die Attraktivität und zugleich das gefährlich persuasive Potential manifest wird, das aus der Verbindung von Komik, Mundart und Folklore hervorgehen kann. Pate stand dabei kein Geringerer als William Shakespeare.

Zähmung einer Widerspenstigen als «Folklore»-Lustspiel

Wer des Schweizerdeutschen nicht mächtig ist, wird den folgenden Ausführungen nur schwer folgen können. Die Simmentaler Mundart macht zu einem Grossteil den «exotischen» Reiz des im Folgenden behandelten Hörspiels aus, stellt aber auch für die meisten Deutschschweizer native speakers eine sprachliche Herausforderung dar. Der Autor, Walter Eschler (1909-97) war ein erfahrener Mundart-Autor, der in seiner engeren Heimat bis heute nicht vergessen ist. Geboren in Zweisimmen, arbeitete er lange Zeit als Bankangestellter und als Generalagent einer Versicherungsgesellschaft, danach fünf Jahre als Amtsrichter, bevor er mit Sechzig freier Schriftsteller wurde und etliche Schauspieltexte und Erzählbände, meist in der Mundart und zu Themen des oberen Simmentals, veröffentlichte, für die er 1984 den Literaturpreis des Kantons Bern erhielt. Wir haben es also mit einem Werk von sicher mehr als durchschnittlicher Qualität eines respektablen Berner Oberländer Mundartautors zu tun. Die schriftstellerische Erfahrung ist seinem Hörspiel «Der Salpetersieder u sy widerspenstigi Frou. Es Zytbild us em Jahr 1744» (1966), einer Auftrags-Produktion der Abteilung «Folklore» von Radio DRS, durchaus anzumerken. Hans Gaugler hat sie mit Simmentaler Laienspielern ausserhalb des Studios aufgenommen und dabei die Erfahrung gemacht, dass sich die Darstellerinnen und Darsteller in einer dem Spiel angemessenen Umgebung und Atmosphäre «freier, ungezwungener und natürlicher geben als im nüchternen, von technischen Hilfsmitteln erfüllten Raum des Hörspielstudios.»

Die Handlung wurde, so Eschler im Vorwort seines Typoskripts, «nach Eintragungen im Chorgerichtsmanual von Zweisimmen frei gestaltet» und soll «nichts anderes sein als ein Zeitbild einer um 220 Jahre zurückliegenden Epoche; eines Zeitalters mit seiner weitmaschigen Volksmoral, seinen derben Sitten, primitiven Wohnverhältnissen und weiten Fussmärschen.» (S.2)1 Den Rahmen bildet ein Zwischenhalt des Salpetersieders Peter Beetschen und seiner Frau Karlini auf ihrem gemeinsamen Heimmarsch von Bern nach der Lenk. Noch mindestens sechs Stunden Wegs trennen die beiden von ihrem Ziel, als sie nach Mitternacht am Wirtshaus des Dorfes Boltigen anklopfen. Schon wollen sie sich wieder auf den Weg machen, da sie vom erbosten Wirt abgewiesen worden sind, als dieser in Peter einen ehemaligen Dienstkameraden erkennt. Karlini lässt sich nur schwer zum Bleiben überreden und besteht darauf, im Stall zu schlafen, da sie Gobeli, dem Wirt, die anfängliche Abweisung nachträgt. Dessen Urteil über Karlini steht schon fest, nachdem er der Frau ihr Nachtlager angewiesen hat: «–Tuusig wätter – ischt daas e reezi Gybe. – Aiaiaiai – -» (S.8), murmelt er vor sich hin, bevor er die Gaststube betritt, wo Beetschen sich unterdessen einer Kanne Wein zugewendet hat. Auf dessen Bescheid, er habe mit seiner Frau in Bern so quasi den Hausfrieden erneuern müssen, fragt Gobeli: «Hescht Maläschsche gha mit dyr Userwählte?» und meint, als Peter dies bestätigt, verschmitzt: «Das chan i mer jitz nu vorstelle.» (S.9)

Der Salpetersieder nimmt seine Frau in Schutz und hebt an zu erzählen, wie sie ihm davongelaufen sei, da ihr die ärmlichen Wohnverhältnisse aufs Gemüt geschlagen seien. Als sie nach Wochen nicht zurückgekehrt sei, habe er eine «Wallfahrt» zum Haus ihrer Eltern unternommen, um Karlini zur Rückkehr zu überreden, doch sie habe nicht «wele i Chomet schlüüffe.» (S.11) Darauf habe er zusammen mit seinem Bruder und einem Helfer, beide im Salpetergewerbe tätig, beschlossen, «das ufölgig Wybervolch sofort! u ohni Pardong! ga hiime z’riche.» (S.11) An diesem Punkt wird in einer ersten Rückblende die Szene der nächtlichen gewaltsamen Entführung Karlinis gespielt. Nach kurzem Unterbruch durch eine Rahmenszene, in welcher Peter dem Wirt erzählt, dass Karlini ihm nach ein paar Tagen wieder entwischt sei und «di miserable, grossgchotzete Zwüsimer» ihm und seinen Kumpanen «da Wyberruub verfluecht übel gnoh» hätten (S.16), folgt in einer langen Rückblende die Verhandlung vor dem Zweisimmener Chorgericht, das den Fall des zerstrittenen Ehepaars zu beurteilen hatte. Es stellt sich heraus, dass Karlini ihren Mann verlassen hat, weil dieser mit ihr und seinem Bruder seit zwei Jahren in leerstehenden Ställen und Scheunen gehaust und sich nicht um eine menschenwürdige Wohnung bemüht hat, da ihm ein fester Wohnsitz bei der Ausübung seines Gewerbes eher hinderlich schien. Laut Anklageschrift haben die Entführer Karlini gefesselt und halbnackt in ein Tragtuch gewickelt nach der Lenk verbracht und in einen Stall eingeschlossen. Wie sich nun herausstellt, wurde die Frau aber nach kurzer Zeit befreit, mit Kleidern versehen und auf einen Esel gesetzt. Die folgenden Ausführungen, deren Komik teils auf dem sozialen Gefälle zwischen den gestrengen Chorrichtern und den beiden Parteien, teils auf dem Kontrast zwischen bisher Verschwiegenem und der sich enthüllenden Wahrheit beruht, sollen im Simmentaler Originalton wiedergegeben werden:

»Peter: — Wo wer sy uf Sant Stäffe cho, hii wer vor em Würtshuus e Halt gmacht u ne Chane Wy bschickt! Jawoll! – U Karlini het an üüser Riis plötzlich Früüd übercho! U het wie ne Hochzytera bbächeret u glachet u gjuhejet!… Müpf mich doch net ging.
Karlini: I müpf ja gar nüt!
Peter: Wohl, du müpf…
Martig [Amtsstatthalter]: Stimmt das, was eua Maa erzellt?
Karlini: (nicht laut) Hm, ds Miischta ischt erstuuche un erloge.
Jakob: Wohl, das ischt eso gsi! Du hescht dy Bächer iisderdar zuehigha! U wo d’Chane ischt leeri gsi, hescht du befole, nu vor Sunenuufgang e zweiti la ufzfahre!
Schönweiz [Pfarrer]: (streng) Und dihr heit das gmacht?
Pfund: (leicht spöttisch) Wier sy kinner U’mensche, Herr Pfarrer, u hün ihm dä fromm Wunsch gäären erfüllt.
Schönweiz: (spitz) Das wird scho sy.
Madig: (schier belustigt) Janu. – U wennd syt er wyterzoge?
Peter: Na der dritte Chane, Herr Amts…
Schönweiz: (entrüstet) Also drei Channe – De syt dihr ja alli schamlos betrunke gsi!!
Peter: Net emal, Herr Pfarrer. – Der Esel u wier dry…
Schönweiz: I rede jitz vo de Lütt!! Gäbet über die Uskunft!
Peter: Enuja, i gibe zue: Karlini ischt ordelich wysseligs u gstures…
Karlini: ler hiit o zickzacket!!
Peter: …u plampigs gsi u wier hii z’ale Syte müessen ufpasse, dass es nus net ab em Esel trohlet.
Madig: U wie mengischt isch es nuch i Strassegrabe ghyt?
Peter: Kii-iinischt.
Pfund: Wier dry sy chatznüecht…
Madig: Also. Fahret wyter.
Peter: Gäge der Lengg zue ischt du Karlini umhi läbigs worde u het uf sym Paschsattel agfange Lumpeliedleni singe u Gabriole mache, dass wer nus schier vor de Lüte hii müesse schyniere – U für net zum Gspött z’wärde, hii wer nüt andersch gwüsst, als ses imene Schürrli abzlade.» (S.24)

Da die Frau nun mit einer Ehebruchsgeschichte ihres Mannes aufwartet und kurzerhand die Scheidung verlangt, werden die beiden an das Berner Oberchorgericht weiterverwiesen. In einer Rahmenszene fasst Peter die Reise nach der Zähringerstadt und die Gerichtsverhandlung zusammen: Da er sich nicht mehr beherrschen konnte und während des Prozesses handgreiflich wurde, war eine Scheidung unausweichlich. Nun folgt, wieder in einer dramatischen Rückblende, die komische Wende. Karlini, eben noch thriumphierend über ihren Sieg in diesem «Lumpestückli» (S.29), kann gar nicht begreifen, warum der Mann sie nun stehen lassen will, und hängt sich, nur schon, weil sie den Heimweg allein gar nicht finden würde, an ihren Peter. Nach einer Mahlzeit und gemeinsam verbrachter Nacht werden sie «rätig», sie gingen besser «dene Perüggehengschte i ds Gricht ga säge, si söle das Züg dürstryche. Wier hiige der Char gchehrt u wele wyterhii zeme gutschiere.» (S.31) Das erweist sich aber als schwieriger denn angenommen, da eine Scheidung nur durch die oberste Landesbehörde, den Berner Kleinen Rat, rückgängig gemacht werden kann. Nachdem diese letzte Prüfung mit Not bestanden ist, machen sie sich, wieder ein Ehepaar, auf den Heimweg.

Albrecht Dürer (1471-1528): Tanzendes Bauernpaar (1514)
(Quelle: Wikimedia)

Als Peter bei Tagesanbruch eben ein Loblied auf seine Frau anstimmt, tritt diese in die Gaststube, liest den beiden Zechern die Leviten und kündigt an, sie mache sich jetzt auf den Weg nach Zweisimmen. «U Beetsche cha de sälber gugge, wien er i sy Lengg chunnt.» (S.33) Da ergreift der Wirt Gobeli das Wort und hält ihr eine Standpredigt: Ob sie in Bern nicht mehr gelernt hätte, sie sei ein «undankbarsch, rächthaberisches Wybervolch», «en unzufrideni, eigesinnigi Trucke» und, sich steigernd, «ne unverschannti, zanggsüchtigi Giftspritze». (S.33 f) Beetschen habe nun endgültig genug und wolle sich «es flotts, schaffigs u jungs Wybervolch» nehmen, das ihm, ohne ständig zu widersprechen, den Haushalt mache. Als Peter die Absicht des Wirts erkennt und mitzuspielen beginnt, packt Karlini die Angst, und sie drängt zum raschen, gemeinsamen Aufbruch. Doch der Mann zögert: «Jajaa.. chume de scho. Aber zerscht welt ich dem Vreneli ga säge…», worauf sie ihm ins Wort fällt: «Da gits nüt z’vrenele. Zall enandernah was wer schuldig sy u chumm.» (S.34) Unter der Türe bedankt sie sich noch bei Gobeli, der sie ermahnt: «U häb Sorg zum Salpetersieder! – Du bischt de net unersetzlich!» (S.35) Er lacht leise vor sich hin, während die beiden sich auf den Weg nach der Lenk machen.

Eschlers Komödie ist nach dem klassischen Schema eines analytischen Dramas gebaut, also weit kunstvoller als etwa die Schwänke eines Hans Sachs oder die «Vereinsstückli», die zu Beginn der Radio-Emissionen zu Sendespielen umfunktioniert wurden. Die Komik ergibt sich nach üblichem Schema aus der Verfehlung der Normen eines sozialen Systems, in diesem Fall durch die Frau, die sich mit den unnötig erschwerten ökonomischen Bedingungen ihrer Ehegemeinschaft nicht abfinden will. Ihre «Widerspenstigkeit» ist es, welche die dramatische Handlung in Gang setzt, die zunächst zum Frauenraub und zur Verhandlung vor Chorgericht, schliesslich zum Scheidungsprozess und dann, in einer komischen Kehrtwendung, zur Wiederaufhebung der Scheidung führt. Die dramatische Lösung – ein ausgesprochen fragwürdiges happy ending – ist in der endgültigen «Zähmung» der Frau durch die List des Wirtes zu sehen, nachdem diese alsbald rückfällig geworden ist. Die Norm, die da verletzt und im Laufe der Handlung in ihrer quasi naturgesetzlich bedingten Gültigkeit mehr als wiederhergestellt wird, geht letztlich auf die Genesis zurück, nach deren Deutung die Frau dem Manne untertan sei. Dagegen lehnt sich Karlini auf, indem sie ihren Mann verlässt und ihre Ehe aufzulösen begehrt. In Sachen Scheidung aber sind die Herren des ehrbaren Oberchorgerichts zu Bern, wie der Pfarrer Schönweiz betont, «mit vollem Rächt […] überuus zurückhaltend. Es Ehebündnis ma no so ungfreut sy, ohni zwingendi Gründ wärde si’s nie löse!» (S.26) Geschieden wird die Ehe letzten Endes nur, weil der Mann vor Gericht handgreiflich wird und damit in der naiven Auslegung seiner Vorherrschaft im falschen Augenblick zu weit geht.

Bei der Rekonstruktion der gewaltsamen Entführung werden lauter Tatbestände zutage gefördert, die gegen die Frau sprechen, so dass schliesslich der Gegenstand der Anklage als Bagatelle und die Klägerin als mitschuldig erscheinen. Es ergibt sich, dass die Frau gefesselt werden musste, weil sie sich so ungestüm wehrte, und dass die vorgefundenen Blutspuren nicht etwa von ihr, sondern von einem der Helfer stammte, der von dem «blindwüetig Wybli» in die Hand gebissen worden war. (S.22) Karlini berichtet, von heiligem Zorn erfüllt, die Mannsbilder hätten an dem Handgemenge auch ihr erotisches Vergnügen gehabt und sie «sogar a Blüttine wo mu süscht net ziigt» gepackt und gedrückt, schliesslich sogar «zum Bett uus gschrisse un am Bode regelrächt vergwaltiget» (S.20 f). Als der Pfarrer heftig reagiert und der Vorsitzende ihr als Alternative den Ausdruck «überwältiget» anbietet, muss sie kleinlaut einlenken und hat durch ihr unbedachtes Wesen eine weitere Chance verspielt, ihre Sache gegen die vereinte Macht der Männer zu vertreten. Im übrigen stellt sich heraus, dass, was als Frauenraub begonnen hatte, sich recht bald zu einem überbordenden Fest und nächtlichen Narrenzug wandelte, dessen komische Schilderung die Unrechtmässigkeit der Aktion allzu leicht vergessen lässt.

Im Umstand, dass die Ehe trotz restriktivster Praxis aus triftigen Gründen geschieden wird, spiegelt sich in diesem Hörspiel aber auch eine Utopie, deren Scheitern durch die allgemeine Struktur der Komödie programmiert ist. Ein glückliches Ende trotz Scheidung wäre auch aufgrund des gesellschaftlich historischen Hintergrundes dieses Hörspiels kaum denkbar. Immerhin liesse sich aber eine Lösung in Betracht ziehen, in welcher auch zu einem Teil die utopische Hoffnung der Frau auf Selbstbestimmung aufgehoben wäre. Der Wunsch nach Widerrufung des Richterspruches ist in der vorliegenden Form des Hörspiels aber weit weniger bedingt durch Einsicht und neu aufkeimende Zuneigung Karlinis zu ihrem Mann als durch ihre schlichte Unfähigkeit, auf eigenen Füssen zu stehen und ihren Weg zu gehen. Die Hörerinnen und Hörer, die sich über ihren drolligen Sinneswandel amüsieren, lachen über eine Frauengestalt, die charakterisiert ist durch die Unmündigkeit und den durch Bevormundung hervorgerufenen Trotz eines Kindes. Dass ihre Widerspenstigkeit sogleich wieder aufkeimt, ist nur die logische Folge aus der vollkommenen Restaurierung des alten, für sie hoffnungslosen Zustandes. Am Schluss hat die resolute Frau nichts gewonnen, sondern im Gegenteil durch das tückische Komplott der Männer den letzten Rest ihrer Autonomie verloren.

Ein Sinneswandel ist nur Im Verhalten des Mannes zu beobachten, der durch die Erkenntnis, dass er seine Stellung besser durch List als durch brachiale Massnahmen halten kann, einen bedeutenden Zuwachs an Macht erhält. Sogar die List, die in der Geschichte der Komödie immer wieder der Frau als geschlechtsspezifisches Attribut und Waffe zugesprochen wurde, wird hier der Sache der Männer dienstbar gemacht. Die Tendenz dieser Komödie ist von daher nicht bloss als konservativ, sondern als reaktionär zu bezeichnen. Da ist auch mit dem Hinweis nichts zu retten, dass es sich bloss um ein «Zeitbild» einer längst vergangenen Epoche handle. In den für die Ansage vorgesehenen historischen Erläuterungen erschöpfen sich im Ansatz schon Bestrebungen, Distanz zu schaffen zwischen dem Hörspiel und seinem Publikum. Indem wie auch immer urkundlich belegbare historische Fakten in der Form einer Komödie und zudem als Hörspiel präsentiert werden, mutieren sie zu einer fiktiven Realität, die sich gibt, als ob das Geschehen im Moment der Rezeption vor sich ginge. Die Gefahr, dass die Argumentationsstruktur dieses Hörspiels von den Zuhörenden nicht bloss nachvollzogen, sondern unkritisch übernommen wird, ist gross, da weder durch die Handlung noch durch die Art der Komik Anstösse zur Distanznahme und Reflexion gegeben sind.

Charles Robert Leslie: „The Taming o the Shrew“ (1866)
(Quelle: Wikipedia)

Das Motiv der Zähmung einer widerspenstigen Frau ist keineswegs neu. Auch Shakespeare griff mit seiner Komödie «The Taming of the Shrew» auf Boccaccios «Decamerone» und andere Quellen zurück, die ihrerseits auf einer weit zurückreichenden Tradition von Märchen und mittelalterlichen Fabliaux fussen. Eine bewusste Anknüpfung an diesen Motivstrang ist allerdings nicht nachzuweisen. Eschler betont vielmehr die Authentizität seines Stoffes, indem er das Chorgerichtsmanual von Zweisimmen als seine Quelle angibt, die er in freier, nicht aufbauschender, eher abschwächender Weise ausgewertet habe. Die für Shakespeares Mädchen- und Frauengestalten keineswegs repräsentative Katharina wäre ein zu monströses «Vorbild», und auch im Hinblick auf die Handlung lassen sich kaum Gemeinsamkeiten feststellen. Bei Shakespeare wird unter Berufung auf die ständische Ordnung die Vormachtstellung des Mannes derart absolut gezeichnet, die Dressur der Frau derart brutal durchgesetzt, dass sich heute zumindest die Unterwerfungsszene ohne Ironie nicht mehr inszenieren lässt. Man darf annehmen, dass dies wohl auch für die elisabethanische Bühne galt. In starkem Kontrast zu Eschlers Karlini stehen viele Frauengestalten in anderen Hörspielen, etwa von Jakob Bührer, Max Frisch, Adolf Muschg, Beat Ramseyer oder Hans Peter Treichler, die sich – leider oft in Nebenrollen, was aber durchaus bezeichnend ist – in einer wenig humanen Männerwelt behaupten und gelegentlich sogar den utopischen Wunsch nach menschlicher Wärme, Frieden und Freiheit anklingen lassen.

Sicher war es nicht die Absicht des Autors, mit seinem Hörspiel die Unterdrückung der Frau in heutiger Zeit zu propagieren, zumal in einer Phase zunehmender emanzipatorischer Bestrebungen. Vielmehr ist ihm eine formal ausgezeichnete Dialekt-Komödie gelungen, die als Paradigma für eine ganze Reihe ähnlicher, grösstenteils weniger geglückter Produktionen seit Mitte der dreissiger Jahre gelten kann. Die ideologische Zielrichtung hat sich wohl eher unter der Hand eingeschlichen durch Effekte, die allen an der Produktion Beteiligten zu wenig klar bewusst waren. Niemand wird sich ein Gewissen daraus machen, wenn er oder sie über den nächtlichen Narrenzug, den Eselsritt der Genarrten und über die verbale und situative Komik der Gerichtsverhandlung herzhaft lacht. Damit ist man aber der persuasiven Tendenz bereits erlegen. Es lohnt sich deshalb, die komischen und folkloristischen Wirkungsmittel etwas genauer zu betrachten, die das Faszinosum dieser Produktion ausmachen.

Faszinierend wirkt schon die für die Mehrzahl der Deutschschweizer wohl nur knapp verständliche Simmentaler Mundart. Der Autor konnte sich nicht an die alltägliche Umgangssprache der Gegenwart halten, sondern musste, schon des historischen Stoffes wegen, eine idealisierte, urtümlich wirkende Mundart verwenden, deren Wohlklang einer quasi kulinarischen Rezeptionshaltung weit entgegenkommt. Ein gewisses Hörvergnügen ergibt sich für Zuhörende, die nicht zu den Sprechern eines Bergdialektes zählen, etwa schon beim Vernehmen von nicht diphtongierten Rückzugsformen wie «Riis» (statt «Reise») und «Früüd» (statt «Freude»). Durch die Lage an der Sprachgrenze bedingt sind Lehnwörter aus dem Französischen wie «Maläschsche», «Pardong» (S.11), «Comers» (S.19), «Menaaschi» (S.30) und andere. Häufungen kräftiger, bildhafter Ausdrücke wie «bbächeret u glachet u gjuhejet» oder «wysseligs u gstures […] u plampigs», das Verb «zickzacken» (für «im Zickzack gehen») oder das Adverb «chatznüecht[ern]» tragen das Ihre zum Reiz und teils zur erheiternden Wirkung der Sprachform bei. Oft ergibt sich eine komische Wirkung aus der Derbheit eines Ausdrucks oder einer Wendung im Kontrast zum Kontext, etwa wenn Peter den Wirt ein «bsoffes Mondchalb» nennt, das er später «i sym ganze Umfang» zurücknimmt (S.5 f), oder wenn Karlini ihm grob übers Maul fährt, ob Gobeli ein Unflat oder ein wunderbarer Kumpan sei, sei «deech oppa gspeut wie gchoderet» (S.6). Dass Karlini durchgehend im Diminutiv und als grammatisches Neutrum angesprochen wird, gehört, vordergründig betrachtet, mit zu den sprachlichen Mitteln, die der Erzeugung von Heiterkeit dienen. Darin drückt sich freilich auch die Minderwertigkeit der Rolle aus, die ihr als Frau zugedacht ist. Sie versucht sich gelegentlich unbeholfen zu revanchieren, indem sie ihren Mann «Beetschli» und dessen Helfer in vergröbernder Form «Köbel» und «Pfündel» nennt. (S.20)

Situative Komik entsteht zum Beispiel, wenn der Salpetersieder protestiert, seine Frau «müpfe» ihn stets, was diese abstreitet. In Wirklichkeit will sie ihn mit nonverbalen Mitteln davon abhalten, von dem fröhlichen mitternächtlichen Zechgelage zu berichten, das ihre Rolle bei der Entführung in ein für sie weniger vorteilhaftes Licht rückt. Zu Beginn der Gerichtsverhandlung macht sich Karlini auf der Bank so breit, dass Peter um etwas Platz zum Sitzen betteln muss. Auf die Aufforderung des Amtsstatthalters reagiert sie zunächst nicht. Die zweite Ermahnung quittiert sie maulend: «Beetsche hetti imel Platz gnueg. Aber äbe, där wetti sich hier cho briit mache u tue wie we…» (S.18) Ähnlich belustigend wirkt der «bedächtig und in singendem Tonfall» vorgebrachte, nach dem Befinden des Vorsitzenden viel zu ausführliche Bericht eines Zeugen, der schildert, wie er nach der Entführung die Tat entdeckt hat. (S.21 f) Durchschaubar und deshalb komisch erscheint Karlinis Ausflucht, das meiste, was ihr Mann vorgetragen habe, sei «erstuuche un erloge», ähnlich dessen zweideutige Antwort «Kii—iinischt» auf die Frage, wie oft die Frau vom Esel gefallen sei. In dieselbe Richtung geht das taktische Ausweichmanöver, den Esel vorzuschieben, wenn der stark alkoholisierte Zustand der Reisegruppe zur Debatte steht.

Die Sammlung von verbalen und nonverbalen Techniken, mit denen humorvolle beziehungsweise komische Wirkungen erzielt werden, ist nicht vollständig. Gemeinsam ist den angeführten Beispielen, dass sich der satirische Sinn fast durchwegs gegen die beiden Hauptpersonen und ihre Helfer richtet. Komik dient als Hilfsmittel zur freilich gelinden Kritik der «weitmaschigen» Moral und der «derben Sitten» des einfachen Landvolkes. Die Zuhörenden übernehmen unversehens die Perspektive der hohen Gerichtsherren, die ja gleich ihnen aussenstehende Beobachter der Ehekomödie sind, nicht gerade die gestrenge Sicht des Pfarrers, sondern eher die wohlwollend-amüsierte des Amtsstatthalters. Ihre Autorität wird nie angetastet, auch wenn die schlagfertigen Reaktionen der Parteien gelegentlich auf ihre Kosten gehen. So lässt die Bemerkung des Salpetergrabers Pfund, er und seine Kumpane seien «keine Unmenschen» und hätten Karlini den «frommen Wunsch» nach einer zweiten Kanne Wein gern erfüllt, diesen als Pfiffikus erscheinen, der sich durch die moralische Strenge des Geistlichen nicht beeindrucken lässt, auch wenn der sich mit dieser Art Frömmigkeit und Nächstenliebe gar nicht anfreunden kann. Zusammenfassend wäre festzustellen, dass durch die Art der Komik in diesem Hörspiel zwar ein herzhaftes Lachen ermöglicht, aber darüber hinaus nirgends ein weiterführender Denkprozess in Gang gesetzt wird. Komik ist in dieser Komödie Selbstzweck, dient nicht der satirischen Kritik einer für das Publikum relevanten sozialen Wirklichkeit und schon gar nicht der Vermittlung eines utopischen Gehalts.

Lach- und Schmunzelkomödien dieser Art, teils ebenso gelungene, teils weniger geglückte, scheinen in gewisser Weise typisch für die Produktion der Abteilung «Folklore», die sich, wie schon der Name, später auch des Ressorts «Land und Leute», sagt, ausdrücklich an ein ländliches, eher konservatives Publikum mit vorwiegend rekreativen Bedürfnissen richtete. Dazu passt auch bestens, dass Eschler aus historischen Quellen schöpft, da «Folklore» herkunftsmässig die «Überlieferungen» (mittelenglisch lare, lore, loor) eines «Volkes» bedeutet und somit eine grundsätzlich rückwärtsgewandte Haltung impliziert. Gemeinsam ist diesen Hörspielen bei aller Verschiedenartigkeit in Thematik und Ausführung, dass Bestehendes mit Humor und milder Komik, aber ohne satirisch-kritische Grundintention dargestellt wird, was letzten Endes immer auf die Bestätigung dieses Bestehenden hinausläuft. Eine distanzierende Wirkung, wie sie von Dürrenmatts grotesken Komödien ausgeht, ist hier nicht einmal im Ansatz zu bemerken.

Dennoch wäre es verfehlt, vom unkritischen, rein unterhaltenden Charakter solcher und ähnlicher Produktionen auf eine ausschliesslich konservative Ausrichtung der produzierenden Abteilung schliessen zu wollen. Walter Eschler griff in seinem zweiten, ebenfalls für die Abteilung «Folklore» geschriebenen Hörspiel «Der Dienstverweigerer» (1970) ein ausgesprochen heisses Eisen auf, das er sich «möglichst objektiv zu behandeln und von verschiedenen Seiten zu beleuchten» vornahm.2 Von den Programmschaffenden der Abteilung «Folklore» entdeckt wurden so kritische Autoren wie Christoph Geiser (1964), Walter Matthias Diggelmann (1970), Adolf Winiger (1973), Beat Weber (1974) und Lukas Hartmann (1977). Typisch scheint allerdings, dass ausser Eschler und Winiger die meisten der genannten Autoren schon ihr zweites Hörspiel für die Abteilung «Dramatik» schrieben. Die genannten Erstlinge stellen also gesamthaft gesehen doch eher Ausnahmen innerhalb der «Folklore»-Produktion dar. Sie zeigen aber, welch enge Verbindung zwischen deren teils schwankhaft-trivialer Produktion und der Produktion der Abteilung «Dramatik» besteht. Darin spiegelt sich die Entstehung des Schweizer Hörspiels aus dem Komödien-Repertoire des Laientheaters, wie sie anfangs dieses Beitrags beschrieben wurde.

  1. Seitenzahlen beziehen sich auf das Typoskript des Hörspiels, greifbar im Bestand des Schweizerischen Literaturarchivs (SLA), Bern ↩︎
  2. W.Eschler, Der Dienstverweigerer, in: radio+fernsehen (Programmzeitschrift) 12/70, S.79 ↩︎

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