Max Frisch und das Radio
«Burleske» ist der Titel des Tagebucheintrags, der dem ersten Hörspiel von Max Frisch zugrunde liegt. Italienisch burla heisst Scherz, Spass. Unter dem Begriff «Burleske» versteht man seit dem 16. Jahrhundert eine derbe Komödie. Der Ausdruck wird oft als Synonym für Komödie, Posse oder Schwank verwendet. Im engeren Sinn wird damit die Form des Komischen bezeichnet, die etwas bekanntes Erhabenes ins Lächerliche zieht, indem sie dessen natürlich-physiologische Grundlagen hervorhebt. In gewissem Sinne könnte man den ursprünglichen Titel auch auf die Entstehungsgeschichte des Hörspiels «Herr Biedermann und die Brandstifter» (1953) beziehen, das als Theaterstück weltliterarische Bedeutung erlangte.
Unter den Schriftstellern, die Ende 1949 von Radio Zürich den Auftrag erhielten, einen Ideen-Vorschlag für ein Hörspiel einzureichen, war auch Max Frisch, der im Februar des folgenden Jahres «als erste Etappe» ein acht Seiten umfassendes Szenario mit dem Titel «Die Brandstifter» ablieferte. Dieser Entwurf mit Ausführungen zur Fabel, zur Form und zu den Figuren basiert auf der 1948 entstandenen «Burleske», die im «Tagebuch 1946–1949» erstmals 1950 veröffentlicht wurde. Aus einem Brief vom 17.3.51 geht hervor, dass Frisch sich nicht in der Lage fühlte, das bereits für die Juni-Festwochen programmierte Hörspiel auszuarbeiten. Die harte Kritik an seinem im Februar am Schauspielhaus uraufgeführten und nach kurzer Zeit abgesetzten «Graf Öderland» hatte ihn in eine tiefe Krise gestürzt. Hans Bänninger, Zürcher Hörspielregisseur seit Anbeginn, an den der Brief gerichtet war, nahm die Absage «mit tiefem Bedauern zur Kenntnis», versuchte aber nicht, den Autor umzustimmen. Das war nun das Gegenteil der Erfahrung, die Friedrich Dürrenmatt fünf Jahre vorher mit seinem Erstling «Der Doppelgänger» gemacht hatte, und auf jeden Fall neu für die institutionellen Exponenten des Hörspiels. Dürrenmatt und Frisch, soviel hatten diese aber nun verstanden, spielten in einer anderen Liga als die übrigen Schweizer «Geistesarbeiter», zu denen man noch bis Mitte der sechziger Jahre ein eher distanziertes, teils schulmeisterlich herablassendes Verhältnis pflegte. Bekannt sind die Fälle von Rudolf Jakob Humm und Walter Matthias Diggelmann, die erst in den siebziger Jahren ihren verspäteten Auftritt als Hörspielautoren hatten.
Max Frisch war schon kurze Zeit nach Kriegsende nach Deutschland gereist, um sich ein Bild von der Lage jenseits der Schweizer Grenze zu machen. Nach dem «Öderland»-Debakel hielt er es 1951 für das Beste, sich in seiner Heimat für einige Zeit in Schweigen zu hüllen. Deshalb ergriff er die Gelegenheit, als Stipendiat des «Rockefeller Grant for Drama» nun auch in die Vereinigten Staaten zu reisen und sich aus erster Hand über die Nation zu informieren, deren Vertretern er bereits in Deutschland begegnet war. Mit einer Empfehlung der SRG in der Tasche bereiste er ein Jahr lang Amerika und belieferte Radio Zürich laufend mit featureartigen Berichten, für die er einen grosszügigen Vorschuss von Fr. 3’000.– erhalten hatte. Seine Beiträge wurden von Guido Frei, dem späteren Fernsehdirektor, noch Jahre nach deren Ausstrahlung als Beispiele vorbildlicher radiophonischer Gestaltung erwähnt. Frischs Features waren nach seinem Urteil «im Grunde reine Vorträge, die aber durch ihren Stil, durch die Art und Weise, wie die Dinge aneinandergereiht waren, durch die Unmittelbarkeit der Aussage viel radiophonischer waren als irgendeine Hörfolge mit vielen Stimmen und Geräuschen es vielleicht gewesen wäre.» Frisch sandte die selbstgemachten Tonbandaufnahmen ungeschnitten, z.T. mit Verarbeitungsvorschlägen versehen, an Studio Zürich. In einem Fall konnte er eine Sendung durch die Mithilfe von USA-Korrespondent Heiner Gautschi in New York selbst gestalten. Die Beiträge wurden teils für die Sendegefässe «Echo der Zeit» und «Wir in der Zeit» verwendet, teils als selbständige Programmteile ausgestrahlt. In der Honorarabrechnung werden folgende 14 Einheiten genannt:
- Ein Dichter macht Geschäfte (Eliot) [nicht gesendet]
- Amerikanisches Picnic
- Kinderlager
- Karamu [aus technischen Gründen unbrauchbar]
- Feriencamp
- Mein amerikanisches Haus
- Der Lord und die Neger
- Kleiner Brief aus San Franzisko
- Keep smiling [aus technischen Gründen unbrauchbar]
- Orchideen und Aasgeier
- Neger-Hörfolge
- Amerikanisches Theater
- Amerikanische Höllgrotten
- Der heutige Samstagsvortrag
Wieder zurückgekehrt, fasste Frisch seine Eindrücke in einem Radiovortrag mit dem Titel «Unser Vorurteil gegen Amerika» zusammen. Aus einem verzagten Hörspielautor in spe war damit ein Radio-Auslandkorrespondent geworden, der mit seinen Features die Leistungen heimischer Radio-Professionals übertraf.
Im Sommer 1952 erhielt Frisch vom Bayerischen Rundfunk ein Auftragsangebot für ein Hörspiel. Der Anstoss, auf einen Stoff aus dem Tagebuch zurückzugreifen, kam von Seiten des Rundfunks, worauf sich Frisch vermutlich an seine Vorarbeiten zu einem «Biedermann»-Hörspiel erinnerte. Das attraktive Honorar von DM 3’000.– verlockte den Autor nach dessen eigenen Worten, «die Sache nochmals zu versuchen, dies mit dem Gedanken, im Falle des Gelingens mit Studio Zürich über eine Regelung zu sprechen.» Das Hörspiel ist also «aus einer Verlegenheit entstanden» und war «eine reine Auftragsarbeit, so eine richtige Geldverdien-Arbeit», was aber Frisch nicht in abwertendem Sinn verstanden wissen wollte, sondern vielmehr als Beispiel einer Arbeit, deren Stoff «einen nicht mehr als Erfindung interessiert» und die daher eine «handwerklich viel freiere und souveränere ist.» Das fertige Manuskript zum Hörspiel «Herr Biedermann und die Brandstifter» sandte er im Januar 1953 gleichzeitig dem Münchner und dem Zürcher Studio zu. Die Ursendung durch den Bayerischen Rundfunk war bereits für den März vorgesehen (BR, 26.3.53), die durch den Autor, vermutlich auf Anraten des Regisseurs, Hans Bänninger, gekürzte Zürcher Fassung wurde weitere drei Monate später als Wort-Beitrag im Rahmen der Juni-Festwochen gesendet (18.6.53). 1955 wurde das Hörspiel durch den NWDR Köln, 1956 durch den SDR, 1958 durch den ORF und 1971 erneut durch Radio DRS inszeniert.
Offenbar bot Frisch sein Hörspiel auch anderen deutschen Sendeanstalten zur Produktion an. Im Max Frisch-Archiv an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich werden das auf August 1954 datierte Manuskript, der vom Autor verfasste Ansagetext sowie die Antwort der Abteilung Hörspieldramaturgie des Hessischen Rundfunks vom 2.3.55 aufbewahrt. Im Absageschreiben wird zwar die «grossartige ideeliche Konzeption» gelobt, doch bezeichnet der Dramaturg «das Ganze […] im Hinblick auf den Zuschauer bzw. Zuhörer als nicht gelungen» und hält es für «so eigenwillig, dass selbst die wohlmeinendste Dramaturgie nicht in der Lage ist, in dieses Gefüge mit helfender Hand einzugreifen.» Darin drückt sich dieselbe schulmeisterliche Haltung aus, die Frisch wohl schon im Verkehr mit dem Zürcher Studio abgeschreckt hatte. Aus Wut hat er anscheinend zum Bostitch gegriffen und den Brief mit etwa einem Dutzend Klammern «versiegelt». Die ästhetischen Bedenken der hessischen Hörspielexperten mögen zum Teil vielleicht berechtigt sein. Der tiefere Grund für die Rückweisung ist aber wohl in der kulturkritischen und politischen Stossrichtung des Hörspiels zu suchen, die die Exponenten des Rundfunks mit Recht auch auf sich beziehen mochten.
Auch 1957 kam der Anstoss zur weiteren Bearbeitung des Stoffs für die Bühne von aussen, nämlich vom Schauspielhaus Zürich. Frisch schrieb das Stück in einer schöpferischen Pause nach der Publikation seines Romans «Homo Faber» und als «Fingerübung» zu «Andorra»; unter dem Titel Biedermann und die Brandstifter. Ein Lehrstück ohne Lehre» wurde es am 29.3.58, ergänzt durch den Schwank «Die grosse Wut des Philipp Hotz», am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt. Nebst «Andorra» wurde es zum bekanntesten Stück von Frisch, erlangte weltliterarischen Rang und einen bleibenden Platz im Kanon schulischer Pflichtlektüre. So wurde es, ursprünglich von Frischs Bekanntschaft mit Brecht inspiriert, zu einem «Lehrstück» im engeren Sinn. Der Zusatz «ohne Lehre» meint zunächst, dass Biedermann keine Lehre aus der Katastrophe zieht. Da sich auch das Publikum der Belehrung entzog, versah Frisch die Frankfurter Inszenierung 1958 mit einem drastischen Nachspiel, das in der Hölle spielt und Biedermanns Verdammung deutlich macht. Das hat seine Entsprechung in der verschärften Opernversion von Brechts «Lukullus»-Hörspiel.
In einem Brief an Max Frisch zeigte sich der Zürcher Radiodirektor Jakob Job etwas enttäuscht über die entgangene Uraufführung, was in Anbetracht der Unterstützung von Frischs Amerikareise verständlich ist. Im Jahresbericht 1954 der Radiogenossenschaft Zürich wurde bedauernd vermerkt, dass «deutsche Radiostationen für Hörspiele Autorenhonorare bezahlen, mit denen wir einfach nicht Schritt halten können. So mussten wir manche Première (Max Frisch, Walter Oberer u.a.) deutschen Sendern überlassen.» In diesem Falle war es, wenn man den Beteuerungen des Autors glaubt, nur auf äussere Umstände zurückzuführen, dass das Hörspieldebüt und damit zugleich die Premiere des erfolgreichsten Stücks von Max Frisch nicht im Programm von Radio Beromünster stattfand. Eine Äusserung Hans Bänningers lässt allerdings vermuten, dass möglicherweise die Art, wie der Entwurf «Die Brandstifter» durch das Radio aufgenommen worden war, nicht gerade motivierend auf den Autor wirkte.
Frisch entsprach als Hörspielautor auch sicher nicht dem Wunschbild der Radioleute, gab er doch – lange nach der Entstehung von «Herr Biedermann und die Brandstifter» noch – unumwunden zu, dass er keinen «Rundfunk» (Radioapparat) besitze und sein erstes Hörspiel geschrieben habe, ohne je zuvor eines gehört zu haben. Mit dem Hörspielschaffen seiner deutschen Kollegen, etwa eines Günter Eich, machte sich Frisch lesenderweise vertraut. So kann es nicht verwundern, dass sein Verhältnis zu diesem Genre ein distanziertes blieb. Frisch liebte den Werkstattcharakter des Theaters, das ihm die Möglichkeit gab, direkt Einfluss zu nehmen, und das er deshalb mit der Baustelle als Arbeitsplatz des Architekten verglich: «Verkörperlichung dort wie hier. Zwar bewerkstelligen es die andern, trotzdem habe ich das Gefühl, Hände zu haben. Es entsteht etwas.» Ex negativo lässt sich daraus schliessen, dass Frisch beim Radio die Möglichkeit aktiver Mitgestaltung vermisste, die ihm das Zürcher Schauspielhaus bot und für die er sich ausdrücklich bedankte. Auch eine gewisse Skepsis gegenüber der Macht der Medien mag mitbestimmend für seine Zurückhaltung gewesen sein. Die Frage nach seinen Erfahrungen mit dem Hörspiel beantwortete er jedenfalls mit einer eindeutigen Stellungnahme zugunsten der Bühne: «Ich ziehe, als Schreiber und als Zuhörer, das Theater vor: ich möchte das Publikum sehen, dabei sein beim Zusammenprall von Werk und Publikum.» Hans Hausmann, der als Leiter der Abteilung «Dramatik» in einer Aussprache Jahre später noch einmal versuchte, Frisch zum Schreiben eines Hörspieltextes zu bewegen, erhielt eine Absage, die der Autor damit begründete, er brauche «Figuren», «Gesichter auf der Bühne».
Den Stoff für sein zweites Hörspiel, «Rip van Winkle», «stahl» Frisch aus dem in Entstehung begriffenen Roman «Stiller», da er Geld brauchte, aber – wie schon bei «Biedermann» – keine Idee hatte. Das Spiel wurde als Gemeinschaftsproduktion dreier deutscher Sender noch im selben Jahr wie das erste uraufgeführt (BR/SWF/RB, 16.6.53); die Schweizer Premiere folgte erst zehn Jahre später (Eigenproduktion, 17.1.63). Für sein Funkgespräch «Der Laie und die Architektur» (HR, 1954), ein Feature über Städtebau aus internationaler Perspektive, erhielt Frisch 1955 den «Schleussner-Schueller-Preis» des Hessischen Rundfunks. Schwitzke erwähnt noch ein seiner Ansicht nach missglücktes, nur einmal gesendetes Hörspiel mit dem Titel «Herr Quixote». Dahinter verbirgt sich die Satire «Eine Lanze für die Freiheit», deren Manuskript von der Hörspieldramaturgie des Hessischen Rundfunks abgelehnt worden war, die aber kurz danach vom Bayerischen Rundfunk produziert wurde (BR, 14.6.55). 1959 fragte Albert Rösler von Studio Zürich den Autor an, ob er bereit wäre, zu einem gemeinsam mit dem Bayerischen und dem Norddeutschen Rundfunk geplanten Hörspielabend ein Spiel von ungefähr zwanzig Minuten beizutragen. Als weitere Autoren für dieses unter dem Titel «Drei Phantasien über ein Thema» stehende Projekt waren Wolfgang Hildesheimer und Heinrich Böll vorgesehen. Obwohl dieser Rahmen grossen Freiraum für die Gestaltung gewährte und auch die finanziellen Bedingungen einer Gemeinschaftsproduktion wohl recht attraktiv waren, ging Frisch auf das Angebot nicht ein.
Frischs Hörspielwerk beschränkt sich also im Wesentlichen auf zwei erfolgreiche Arbeiten, von denen die eine sozusagen als Vorstudie zu einem Theaterstück, die andere als Nebenprodukt eines Romans zu betrachten ist, sowie auf ein erfolgloses weiteres Hörspiel. Werk- und Wirkungsgeschichte von Frischs «Biedermann» zeigen vor allem eines deutlich: dass sich der Welterfolg und eine über Jahrzehnte andauernde Auseinandersetzung erst mit der Bühnenfassung einstellten, obwohl die Brisanz des Stücks bereits Jahre zuvor im Hörspiel zum Ausdruck kam. Daraus erklärt sich die reservierte Haltung vieler prominenter, aber auch weniger bekannter Autoren gegenüber dem Hörspiel, die sich in abgemilderter Form bis heute erhalten hat. In den fünfziger Jahren etablierte sich das Hörspiel endgültig als Forum der dramatischen Kunst am Rande der öffentlichen Auseinandersetzung. Das wurde allerdings, wie aus den Bemerkungen Friedrich Dürrenmatts zu schliessen ist, von manchen Autoren nicht nur negativ gewertet.
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