99 Jahre Hörspiel in der Schweiz

Foto: Unternehmensarchiv SRF, Radiostudio Zürich

In diesem Blog möchte ich in kurzen Essays wichtige Hörspiel-Produktionen vorstellen. Nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern in der prägnanten Art des Blogging.

Ich lasse mich dabei von subjektiven Interessen leiten – und von den Fragen meiner Leserinnen und Leser, falls solche gestellt werden.

Wer sich in das Thema vertiefen möchte, findet auf meiner Homepage Quellenangaben, detaillierte Informationen, Links und Verzeichnisse, die weiterhelfen. Hier der Pfad dorthin:

Das Deutschschweizer Hörspiel 1925 – 1990

Burleske made in Switzerland

Max Frisch und das Radio

«Burleske» ist der Titel des Tagebucheintrags, der dem ersten Hörspiel von Max Frisch zugrunde liegt. Italienisch burla heisst Scherz, Spass. Unter dem Begriff «Burleske» versteht man seit dem 16. Jahrhundert eine derbe Komödie. Der Ausdruck wird oft als Synonym für Komödie, Posse oder Schwank verwendet. Im engeren Sinn wird damit die Form des Komischen bezeichnet, die etwas bekanntes Erhabenes ins Lächerliche zieht, indem sie dessen natürlich-physiologische Grundlagen hervorhebt. In gewissem Sinne könnte man den ursprünglichen Titel auch auf die Entstehungsgeschichte des Hörspiels «Herr Biedermann und die Brandstifter» (1953) beziehen, das als Theaterstück weltliterarische Bedeutung erlangte.

Unter den Schriftstellern, die Ende 1949 von Radio Zürich den Auftrag erhielten, einen Ideen-Vorschlag für ein Hörspiel einzureichen, war auch Max Frisch, der im Februar des folgenden Jahres «als erste Etappe» ein acht Seiten umfassendes Szenario mit dem Titel «Die Brandstifter» ablieferte. Dieser Entwurf mit Ausführungen zur Fabel, zur Form und zu den Figuren basiert auf der 1948 entstandenen «Burleske», die im «Tagebuch 1946–1949» erstmals 1950 veröffentlicht wurde. Aus einem Brief vom 17.3.51 geht hervor, dass Frisch sich nicht in der Lage fühlte, das bereits für die Juni-Festwochen programmierte Hörspiel auszuarbeiten. Die harte Kritik an seinem im Februar am Schauspielhaus uraufgeführten und nach kurzer Zeit abgesetzten «Graf Öderland» hatte ihn in eine tiefe Krise gestürzt. Hans Bänninger, Zürcher Hörspielregisseur seit Anbeginn, an den der Brief gerichtet war, nahm die Absage «mit tiefem Bedauern zur Kenntnis», versuchte aber nicht, den Autor umzustimmen. Das war nun das Gegenteil der Erfahrung, die Friedrich Dürrenmatt fünf Jahre vorher mit seinem Erstling «Der Doppelgänger» gemacht hatte, und auf jeden Fall neu für die institutionellen Exponenten des Hörspiels. Dürrenmatt und Frisch, soviel hatten diese aber nun verstanden, spielten in einer anderen Liga als die übrigen Schweizer «Geistesarbeiter», zu denen man noch bis Mitte der sechziger Jahre ein eher distanziertes, teils schulmeisterlich herablassendes Verhältnis pflegte. Bekannt sind die Fälle von Rudolf Jakob Humm und Walter Matthias Diggelmann, die erst in den siebziger Jahren ihren verspäteten Auftritt als Hörspielautoren hatten.

Max Frisch war schon kurze Zeit nach Kriegsende nach Deutschland gereist, um sich ein Bild von der Lage jenseits der Schweizer Grenze zu machen. Nach dem «Öderland»-Debakel hielt er es 1951 für das Beste, sich in seiner Heimat für einige Zeit in Schweigen zu hüllen. Deshalb ergriff er die Gelegenheit, als Stipendiat des «Rockefeller Grant for Drama» nun auch in die Vereinigten Staaten zu reisen und sich aus erster Hand über die Nation zu informieren, deren Vertretern er bereits in Deutschland begegnet war. Mit einer Empfehlung der SRG in der Tasche bereiste er ein Jahr lang Amerika und belieferte Radio Zürich laufend mit featureartigen Berichten, für die er einen grosszügigen Vorschuss von Fr. 3’000.– erhalten hatte. Seine Beiträge wurden von Guido Frei, dem späteren Fernsehdirektor, noch Jahre nach deren Ausstrahlung als Beispiele vorbildlicher radiophonischer Gestaltung erwähnt. Frischs Features waren nach seinem Urteil «im Grunde reine Vorträge, die aber durch ihren Stil, durch die Art und Weise, wie die Dinge aneinandergereiht waren, durch die Unmittelbarkeit der Aussage viel radiophonischer waren als irgendeine Hörfolge mit vielen Stimmen und Geräuschen es vielleicht gewesen wäre.» Frisch sandte die selbstgemachten Tonbandaufnahmen ungeschnitten, z.T. mit Verarbeitungsvorschlägen versehen, an Studio Zürich. In einem Fall konnte er eine Sendung durch die Mithilfe von USA-Korrespondent Heiner Gautschi in New York selbst gestalten. Die Beiträge wurden teils für die Sendegefässe «Echo der Zeit» und «Wir in der Zeit» verwendet, teils als selbständige Programmteile ausgestrahlt. In der Honorarabrechnung werden folgende 14 Einheiten genannt:

  • Ein Dichter macht Geschäfte (Eliot) [nicht gesendet]
  • Amerikanisches Picnic
  • Kinderlager
  • Karamu [aus technischen Gründen unbrauchbar]
  • Feriencamp
  • Mein amerikanisches Haus
  • Der Lord und die Neger
  • Kleiner Brief aus San Franzisko
  • Keep smiling [aus technischen Gründen unbrauchbar]
  • Orchideen und Aasgeier
  • Neger-Hörfolge
  • Amerikanisches Theater
  • Amerikanische Höllgrotten
  • Der heutige Samstagsvortrag

Wieder zurückgekehrt, fasste Frisch seine Eindrücke in einem Radiovortrag mit dem Titel «Unser Vorurteil gegen Amerika» zusammen. Aus einem verzagten Hörspielautor in spe war damit ein Radio-Auslandkorrespondent geworden, der mit seinen Features die Leistungen heimischer Radio-Professionals übertraf.

Im Sommer 1952 erhielt Frisch vom Bayerischen Rundfunk ein Auftragsangebot für ein Hörspiel. Der Anstoss, auf einen Stoff aus dem Tagebuch zurückzugreifen, kam von Seiten des Rundfunks, worauf sich Frisch vermutlich an seine Vorarbeiten zu einem «Biedermann»-Hörspiel erinnerte. Das attraktive Honorar von DM 3’000.– verlockte den Autor nach dessen eigenen Worten, «die Sache nochmals zu versuchen, dies mit dem Gedanken, im Falle des Gelingens mit Studio Zürich über eine Regelung zu sprechen.» Das Hörspiel ist also «aus einer Verlegenheit entstanden» und war «eine reine Auftragsarbeit, so eine richtige Geldverdien-Arbeit», was aber Frisch nicht in abwertendem Sinn verstanden wissen wollte, sondern vielmehr als Beispiel einer Arbeit, deren Stoff «einen nicht mehr als Erfindung interessiert» und die daher eine «handwerklich viel freiere und souveränere ist.» Das fertige Manuskript zum Hörspiel «Herr Biedermann und die Brandstifter» sandte er im Januar 1953 gleichzeitig dem Münchner und dem Zürcher Studio zu. Die Ursendung durch den Bayerischen Rundfunk war bereits für den März vorgesehen (BR, 26.3.53), die durch den Autor, vermutlich auf Anraten des Regisseurs, Hans Bänninger, gekürzte Zürcher Fassung wurde weitere drei Monate später als Wort-Beitrag im Rahmen der Juni-Festwochen gesendet (18.6.53). 1955 wurde das Hörspiel durch den NWDR Köln, 1956 durch den SDR, 1958 durch den ORF und 1971 erneut durch Radio DRS inszeniert.

Offenbar bot Frisch sein Hörspiel auch anderen deutschen Sendeanstalten zur Produktion an. Im Max Frisch-Archiv an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich werden das auf August 1954 datierte Manuskript, der vom Autor verfasste Ansagetext sowie die Antwort der Abteilung Hörspieldramaturgie des Hessischen Rundfunks vom 2.3.55 aufbewahrt. Im Absageschreiben wird zwar die «grossartige ideeliche Konzeption» gelobt, doch bezeichnet der Dramaturg «das Ganze […] im Hinblick auf den Zuschauer bzw. Zuhörer als nicht gelungen» und hält es für «so eigenwillig, dass selbst die wohlmeinendste Dramaturgie nicht in der Lage ist, in dieses Gefüge mit helfender Hand einzugreifen.» Darin drückt sich dieselbe schulmeisterliche Haltung aus, die Frisch wohl schon im Verkehr mit dem Zürcher Studio abgeschreckt hatte. Aus Wut hat er anscheinend zum Bostitch gegriffen und den Brief mit etwa einem Dutzend Klammern «versiegelt». Die ästhetischen Bedenken der hessischen Hörspielexperten mögen zum Teil vielleicht berechtigt sein. Der tiefere Grund für die Rückweisung ist aber wohl in der kulturkritischen und politischen Stossrichtung des Hörspiels zu suchen, die die Exponenten des Rundfunks mit Recht auch auf sich beziehen mochten.

Auch 1957 kam der Anstoss zur weiteren Bearbeitung des Stoffs für die Bühne von aussen, nämlich vom Schauspielhaus Zürich. Frisch schrieb das Stück in einer schöpferischen Pause nach der Publikation seines Romans «Homo Faber» und als «Fingerübung» zu «Andorra»; unter dem Titel Biedermann und die Brandstifter. Ein Lehrstück ohne Lehre» wurde es am 29.3.58, ergänzt durch den Schwank «Die grosse Wut des Philipp Hotz», am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt. Nebst «Andorra» wurde es zum bekanntesten Stück von Frisch, erlangte weltliterarischen Rang und einen bleibenden Platz im Kanon schulischer Pflichtlektüre. So wurde es, ursprünglich von Frischs Bekanntschaft mit Brecht inspiriert, zu einem «Lehrstück» im engeren Sinn. Der Zusatz «ohne Lehre» meint zunächst, dass Biedermann keine Lehre aus der Katastrophe zieht. Da sich auch das Publikum der Belehrung entzog, versah Frisch die Frankfurter Inszenierung 1958 mit einem drastischen Nachspiel, das in der Hölle spielt und Biedermanns Verdammung deutlich macht. Das hat seine Entsprechung in der verschärften Opernversion von Brechts «Lukullus»-Hörspiel.

In einem Brief an Max Frisch zeigte sich der Zürcher Radiodirektor Jakob Job etwas enttäuscht über die entgangene Uraufführung, was in Anbetracht der Unterstützung von Frischs Amerikareise verständlich ist. Im Jahresbericht 1954 der Radiogenossenschaft Zürich wurde bedauernd vermerkt, dass «deutsche Radiostationen für Hörspiele Autorenhonorare bezahlen, mit denen wir einfach nicht Schritt halten können. So mussten wir manche Première (Max Frisch, Walter Oberer u.a.) deutschen Sendern überlassen.» In diesem Falle war es, wenn man den Beteuerungen des Autors glaubt, nur auf äussere Umstände zurückzuführen, dass das Hörspieldebüt und damit zugleich die Premiere des erfolgreichsten Stücks von Max Frisch nicht im Programm von Radio Beromünster stattfand. Eine Äusserung Hans Bänningers lässt allerdings vermuten, dass möglicherweise die Art, wie der Entwurf «Die Brandstifter» durch das Radio aufgenommen worden war, nicht gerade motivierend auf den Autor wirkte.

Frisch entsprach als Hörspielautor auch sicher nicht dem Wunschbild der Radioleute, gab er doch – lange nach der Entstehung von «Herr Biedermann und die Brandstifter» noch – unumwunden zu, dass er keinen «Rundfunk» (Radioapparat) besitze und sein erstes Hörspiel geschrieben habe, ohne je zuvor eines gehört zu haben. Mit dem Hörspielschaffen seiner deutschen Kollegen, etwa eines Günter Eich, machte sich Frisch lesenderweise vertraut. So kann es nicht verwundern, dass sein Verhältnis zu diesem Genre ein distanziertes blieb. Frisch liebte den Werkstattcharakter des Theaters, das ihm die Möglichkeit gab, direkt Einfluss zu nehmen, und das er deshalb mit der Baustelle als Arbeitsplatz des Architekten verglich: «Verkörperlichung dort wie hier. Zwar bewerkstelligen es die andern, trotzdem habe ich das Gefühl, Hände zu haben. Es entsteht etwas.» Ex negativo lässt sich daraus schliessen, dass Frisch beim Radio die Möglichkeit aktiver Mitgestaltung vermisste, die ihm das Zürcher Schauspielhaus bot und für die er sich ausdrücklich bedankte. Auch eine gewisse Skepsis gegenüber der Macht der Medien mag mitbestimmend für seine Zurückhaltung gewesen sein. Die Frage nach seinen Erfahrungen mit dem Hörspiel beantwortete er jedenfalls mit einer eindeutigen Stellungnahme zugunsten der Bühne: «Ich ziehe, als Schreiber und als Zuhörer, das Theater vor: ich möchte das Publikum sehen, dabei sein beim Zusammenprall von Werk und Publikum.» Hans Hausmann, der als Leiter der Abteilung «Dramatik» in einer Aussprache Jahre später noch einmal versuchte, Frisch zum Schreiben eines Hörspieltextes zu bewegen, erhielt eine Absage, die der Autor damit begründete, er brauche «Figuren», «Gesichter auf der Bühne».

Max Frisch mit dem Schauspielhaus-Regisseur Oskar Wälterlin bei den Proben zu «Biedermann und die Brandstifter» und «Die grosse Wut des Philipp Hotz», 1958 (© ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Foto: Comet Photo AG, Zürich / Quelle: Wikipedia)

Den Stoff für sein zweites Hörspiel, «Rip van Winkle», «stahl» Frisch aus dem in Entstehung begriffenen Roman «Stiller», da er Geld brauchte, aber – wie schon bei «Biedermann» – keine Idee hatte. Das Spiel wurde als Gemeinschaftsproduktion dreier deutscher Sender noch im selben Jahr wie das erste uraufgeführt (BR/SWF/RB, 16.6.53); die Schweizer Premiere folgte erst zehn Jahre später (Eigenproduktion, 17.1.63). Für sein Funkgespräch «Der Laie und die Architektur» (HR, 1954), ein Feature über Städtebau aus internationaler Perspektive, erhielt Frisch 1955 den «Schleussner-Schueller-Preis» des Hessischen Rundfunks. Schwitzke erwähnt noch ein seiner Ansicht nach missglücktes, nur einmal gesendetes Hörspiel mit dem Titel «Herr Quixote». Dahinter verbirgt sich die Satire «Eine Lanze für die Freiheit», deren Manuskript von der Hörspieldramaturgie des Hessischen Rundfunks abgelehnt worden war, die aber kurz danach vom Bayerischen Rundfunk produziert wurde (BR, 14.6.55). 1959 fragte Albert Rösler von Studio Zürich den Autor an, ob er bereit wäre, zu einem gemeinsam mit dem Bayerischen und dem Norddeutschen Rundfunk geplanten Hörspielabend ein Spiel von ungefähr zwanzig Minuten beizutragen. Als weitere Autoren für dieses unter dem Titel «Drei Phantasien über ein Thema» stehende Projekt waren Wolfgang Hildesheimer und Heinrich Böll vorgesehen. Obwohl dieser Rahmen grossen Freiraum für die Gestaltung gewährte und auch die finanziellen Bedingungen einer Gemeinschaftsproduktion wohl recht attraktiv waren, ging Frisch auf das Angebot nicht ein.

Frischs Hörspielwerk beschränkt sich also im Wesentlichen auf zwei erfolgreiche Arbeiten, von denen die eine sozusagen als Vorstudie zu einem Theaterstück, die andere als Nebenprodukt eines Romans zu betrachten ist, sowie auf ein erfolgloses weiteres Hörspiel. Werk- und Wirkungsgeschichte von Frischs «Biedermann» zeigen vor allem eines deutlich: dass sich der Welterfolg und eine über Jahrzehnte andauernde Auseinandersetzung erst mit der Bühnenfassung einstellten, obwohl die Brisanz des Stücks bereits Jahre zuvor im Hörspiel zum Ausdruck kam. Daraus erklärt sich die reservierte Haltung vieler prominenter, aber auch weniger bekannter Autoren gegenüber dem Hörspiel, die sich in abgemilderter Form bis heute erhalten hat. In den fünfziger Jahren etablierte sich das Hörspiel endgültig als Forum der dramatischen Kunst am Rande der öffentlichen Auseinandersetzung. Das wurde allerdings, wie aus den Bemerkungen Friedrich Dürrenmatts zu schliessen ist, von manchen Autoren nicht nur negativ gewertet.


Kommentare

Eine Antwort zu „Burleske made in Switzerland“

  1. Als Klassiker allgemein bekannt ist Max Frischs Bühnenstück «Biedermann und die Brandstifter. Ein Lehrstück ohne Lehre» von 1958. Wer das zugrunde liegende Hörspiel nicht kennt, der oder die kann sich im Folgenden über dessen Inhalt und Dramaturgie informieren. Eine ausführliche Analyse findet sich auf meiner Homepage.

    Frisch kündigte das Hörspiel als «eine Parabel» an, und er verdeutlichte, es handle sich «also nicht um eine Geschichte, die den Anspruch erhebt, dass man sie glaube, sondern um ein Spiel, ein Bei-Spiel – um einen Gottlieb Biedermann, der sich sehr unwahrscheinlich verhält». Nach Weltis «Napoleon von Oberstrass» (1938) und Dürrenmatts «Doppelgänger» (1946) haben wir es mit dem dritten bedeutenden Parabelspiel der Schweizer Hörspielgeschichte zu tun. Ort des Geschehens ist Seldwyla, das man sich aber als «eine heutige Stadt» vorstellen soll, «mit allem, was dazu gehört», und nicht, «wie Gottfried Keller es geschildert hat.» Die Binnenhandlung ist rasch erzählt. Der Haarölfabrikant Biedermann erhält Besuch von zwei Unbekannten, die er möglichst bald wieder loswerden möchte, denen er aber wohl oder übel Obdach in seinem Einfamilienhaus gewährt, obwohl sich schon bald der Verdacht konkretisiert, dass es sich um Brandstifter handelt, die in der Stadt umgehen. Um seine Aufgeschlossenheit und edle bürgerliche Gesinnung zu demonstrieren – das «bekannte Erhabene» der Burleske – und sich das Wohlwollen seiner Besucher zu sichern, verbrüdert er sich mit den jovialen Terroristen und muss darauf sogar hinnehmen, dass sie mit Benzin gefüllte Fässer auf seinem Dachboden lagern. Schliesslich überreicht er ihnen sogar eine Schachtel Zündhölzer und ermöglicht so durch sein anbiederndes Verhalten die Katastrophe von Seldwyla: Die Stadt brennt bis auf die Grundmauern nieder, Biedermann überlebt. Anlass zum Entwurf im «Tagebuch 1946-49» war die Machtergreifung der Kommunisten in der Tschechoslowakischen Republik, doch kann die Parabel auch auf den Nationalsozialismus und andere historische und gegenwärtige Entwicklungen bezogen werden. Europa hätte derzeit guten Grund, sich der Aktualität von Frischs Stück bewusst zu werden.

    Der Plot der Parabel ist, wie Frisch selbst bemerkte, rein linear ohne jede Gegenhandlung. Die Distanziertheit des Berichts über ein vergangenes Ereignis war für Frisch wesentlich, das Burleske sollte sich nach der Intention des Entwurfs erst langsam enthüllen. Als epischen Rahmen führte er deshalb schon im Exposé einen «Überlebenden» ein, der die katastrophale Entwicklung erläutern sollte, ohne zu predigen. Im Hörspiel wird die epische Tendenz noch verstärkt, indem der «Verfasser» an die Stelle des «Überlebenden» tritt. Er lässt sich nicht mehr ins Spiel hineinziehen, sondern zitiert Biedermann anfangs auf seine präsentative Ebene, um ihn – post festum – den Zuhörenden vorzustellen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese missbraucht Biedermann sogleich, um seinem Urheber Überheblichkeit vorzuwerfen, was dessen Bekenntnis nach sich zieht, dass kein Verfasser etwas hervorbringen kann, «was nicht auch in ihm selbst ist», dass die «erfundene Figur» nichts anderes sei als «Herr Biedermann in uns selbst» und damit auch in den Zuhörenden.

    Man kann in Frischs «Herr Biedermann und die Brandstifter» (1953) und in Dürrenmatts «Die Panne» (1956) eine Parodie auf die besondere Dramaturgie des bundesdeutschen Hörspiels der fünfziger Jahre sehen, das aufgrund seiner starken Orientierung an den Erwartungen beim Publikum sehr beliebt war. Im Unterschied zum gängigen Typus des deutschen Hörspiels, das die Zuhörenden durch die Möglichkeit der Identifikation mit den leidenden Figuren und durch akustische Suggestion in seinen Bann ziehen und sie zu einer höheren Einsicht führen wollte, bauten die beiden Schweizer Autoren ihre Hörspiele kreisförmig auf und verzichteten auf eine Katharsis. Biedermann bezeichnet sich nach der Katastrophe als unschuldig und lässt sich nicht zur Verantwortung ziehen. Das Spiel könnte von vorne beginnen. Das Schuldbekenntnis des Alfredo Traps in Dürrenmatts »Panne« hat am nächsten Morgen «weniger Nachwirkungen hinterlassen als der während des Abends genossene Alkohol.» Im Unterschied zu Günter Eich, der sein Hörspiel «Träume» mit einem Aufruf zu politischer Wachsamkeit abschloss, unterzogen die Schweizer den von Eich angesprochenen Durchschnittscharakter einer rein sachlichen Analyse, deren letztes Ergebnis in der Feststellung seiner grundsätzlichen Unbelehrbarkeit bestand. In dieser Haltung, die eher den Forderungen junger Autorinnen und Autoren für das deutsche Hörspiel nach 1960 entsprach, waren Frisch und Dürrenmatt ihrer Zeit voraus. Ebenso isoliert stehen ihre Arbeiten im Kontext des radiodramatischen Schaffens der grossen Mehrheit von Deutschschweizer Schriftstellern der damaligen Zeit.

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