Die radiodramatische Produktion begann bei Radio Zürich am 3. Januar 1925 mit dem «Urner Spiel vom Wilhelm Tell», einem der ältesten vollständig überlieferten literarischen Zeugnisse der Schweiz vom Beginn des 16. Jahrhunderts. Das erste Sendespiel basierte also auf einem vierhundert Jahre alten Stück, das den noch viel weiter zurückreichenden Gründungsmythos der urschweizerischen Eidgenossenschaft zum Thema hatte. Im historischen Genre sind Adaptionen literarischer Texte aller Gattungen, die seit jeher etwa die Hälfte des gesamten Hörspielbedarfs decken, besonders stark vertreten. Es handelt sich hierbei um die radiophone Entsprechung eines Themenbereichs, der einen bedeutenden Teil der Weltliteratur aller Zeiten ausmacht. Wenn man bedenkt, dass bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts die «Geschichte fast die einzige Quelle der Tragödie»1 war, so scheinen Einflüsse dieser Art geradezu unvermeidlich. Georg Büchner erhebt dies sogar zum Programm:
«Der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts als ein Geschichtschreiber, steht aber über letzterem dadurch, dass er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockene Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen.»
Brief an die Familie, Strassburg, den 23. Juli 1835
Hans Peter Gansner stellt dieses Zitat als Motto dem zweiten Teil («Premiere», 1990) seiner Trilogie über die Einflüsse des Nationalsozialismus in der Schweiz der dreissiger Jahre voran. Uns in das Leben einer Zeit hineinzuversetzen, diesem hohen Anspruch genügen allerdings nur die wenigsten Repräsentanten der Radiodramatik. Verschiedene Abstufungen sollen die folgenden Ausführungen aufzeigen. Originalhörspiele mit historischer und biografischer Thematik machen allerdings einen so grossen Teil des gesamten Hörspiel-Repertoires aus, dass in diesem Zusammenhang nicht einmal ein grober Überblick möglich ist. Ich begnüge mich zunächst mit einer Skizze der anfänglichen Entwicklung bis 1950, chronologisch geordnet in der Reihenfolge der historischen Themen.
Radio als Schulmeister der Nation
Die ersten Produktionen, die man als Hörspiele im heutigen Sinn bezeichnen kann, behandelten allesamt historisch-biografische Stoffe: «Ein Abend im Hause Wesendonck» (1927), «Klopstocks Fahrt nach der Au» (1928) und «Napoleon auf St. Helena» (1929), alle drei von Richard Schweizer. Auf den Durchbruch des deutschen Hörspiels im Jahr 1929 lässt sich eine Gruppe von Hörspielen zurückführen, welche die letzten Helden der Neuzeit verherrlichten. Den qualitativen Sprung zu einem formal eigenständigen schweizerischen Radiokunstwerk schaffte in diesem Kontext Paul Lang mit seinem preisgekrönten Pionier-Hörspiel «Nordheld Andrée» (1931). Sein zehn Jahre später entstandenes Schulfunk-Hörspiel «Die tragische Südpolexpedition des Kapitäns Scott» (1942) lehnt sich nicht nur thematisch, sondern auch in dramaturgischer Hinsicht eng an den erfolgreichen Erstling an.
Die Krisenzeit unmittelbar vor Kriegsausbruch und die Kriegsjahre brachten eine ganze Reihe von Hörspielen über Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts hervor, deren Wirken zum Teil in die unruhige Zeit der Regeneration und der darauffolgenden Auseinandersetzungen um den jungen Bundesstaat fällt. Die Bevorzugung dieser Epoche scheint auf den ersten Blick dem Bestreben der Geistigen Landesverteidigung nach Harmonisierung der Gegensätze zu widersprechen. Doch bei genauerem Zusehen bleibt letzten Endes nur Adolf Saagers Hörspiel «Giuseppe Mazzini im Schweizer Exil» (1939), das, indem es den radikalen «Umtrieben» des italienischen Emigranten nachging, ein etwas heikleres Thema aufgriff. Einen konventionellen Weg schlug Franz Fassbind mit den «Vierzehn Stationen aus dem Leben Henri Dunants» ein, die sein Hörspiel «Der Rote Kreuz-Weg» (1941) nachzeichnet. Der Stoff bot eine günstige Gelegenheit, um für das aktuelle Selbstverständnis der offiziellen Schweiz zu werben, ohne den kriegerischen Konflikt in Europa ins Zentrum zu rücken. Paul Lang fand in «Dufour» (1943) eine Integrationsfigur, die dem aktuellen politischen Erfordernis nach «Zämmestand» und Wehrbereitschaft voll entsprach und die mit derselben väterlichen Aura versehen war, wie sie General Guisan zugesprochen wurde. Am Anfang dieses Hörspiels, das als historische Folie der Lebensgeschichte Dufours auch Szenen aus dem Sonderbundskrieg, von der Mobilmachung 1856 und zur Unterzeichnung der Genfer Konvention enthält, findet sich der Satz: «Ebe drum studiere mer doch d’Gschicht, as mer drus lehre kenne.» Die lehrhafte Absicht ist in der Figur des Schulmeisters exemplarisch verkörpert, der, seinem Beruf entsprechend, weit ausholen darf, um zwei Miteidgenossen die Entwicklung des Neuenburger Konflikts zu erklären.
Lang griff in diesem Hörspiel historische Themen auf, die zuvor schon Fankhauser, Hochstrasser und Fassbind behandelt hatten, und setzte sie in Beziehung zueinander. Dasselbe Bestreben hatte sich schon in seinem Beitrag zum Jubiläum «650 Jahre Schweizerische Eidgenossenschaft» über den Pionier «Hans Conrad Escher von der Linth» (1941) gezeigt. Der junge Escher vergleicht die gute alte Zeit mit den gegenwärtigen Zuständen von 1792, für die sich die Metapher des Sumpfes wie von selbst anbietet, da er ja die Trockenlegung der Linthebene zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat. «Fritz Riggenbach. Ein Schweizer Pionier der Technik (1817-1899)» wurde von Franz Fassbind in einem von der Stiftung Pro Juventute in Auftrag gegebenen Hörspiel (1942) vorgestellt, und Cäsar von Arx, der bereits 1932 eine Hörfolge zum 50jährigen Jubiläum der Gotthardbahn geschrieben hatte, rief in seinem Hörspiel «Der Kampf mit dem Gotthard» (1939) den Bau der ökonomisch und strategisch wichtigen Nord-Süd-Verbindung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Erinnerung. Im Bereich der historischen Thematik, so zeigt sich in diesem letzten Beispiel, bewegt man sich oft im Übergangsbereich zwischen Hörfolge und Hörspiel, den zwei Sparten also, die von Anfang an als die medienspezifischen Domänen «radioeigener» Gestaltung betrachtet wurden. Arthur Welti schlug dafür den umfassenden Begriff des «dokumentarischen Hörspiels» vor, der sich aber nicht durchsetzen konnte.
Ferdinand Hodlers Tell trat mit erhobener Armbrust den Leserinnen und Lesern der Schweizerischen Radio-Zeitung auf der Titelseite jener Nummer im September 1937 entgegen, die in ihrem ganzen Umfang der Geistigen Landesverteidigung gewidmet war. Da wurden, zum Zeichen, dass die Vergangenheit «zu einer würdigen Haltung in der Gegenwart» verpflichte, historische Vorbilder zitiert, die im Kontrast zur totalitären Propaganda echtes Schweizertum repräsentieren sollten. Episoden und Zeitbilder aus der Geschichte der Eidgenossenschaft waren im Hörspielprogramm bis dahin eher selten und ohne einheitliche Wirkungsabsicht behandelt worden. Walter ab Holenstein rief mit seinem «Historien-Hörbild» «Mord vor Greifensee» (1931), das die Belagerung des zürcherischen Landstädtchens um 1444 und das anschliessende Blutgericht zum Thema hat, nicht gerade ein Beispiel helvetischer Eintracht in Erinnerung. In Chronikauszügen und Dialogen wurde der historische Sprachstand der Zeit imitiert. Traugott Vogels Hörspiel «Er macht die Stadt zum Staate» (1936) gestaltete zur 600-Jahrfeier der Zürcher Zünfte den «Kampf um Rudolf Brun und Zürichs Zunftverfassung vom Jahre 1336». Es wurde mit einem Zusatzpreis im zweiten Hörspielwettbewerb der SRG und des Schweizerischen Schriftstellervereins ausgezeichnet. Seinen Tribut an die patriotische Verpflichtung des Radios entrichtete der Autor, da sich vom Stoff her kaum Parallelen zum politischen Zeitgeschehen ergaben, mit einem Dialog am Schluss des Spiels, der sich, offenbar unbewusst und absichtslos wie in vielen anderen Fällen, um die Begriffe «Blut» und «Boden» rankt:
«Vater: Am ersten Mai 1351 schloss Zürich diesen sogenannten „Ewigen Bund“ mit den Waldstätten und daraus wuchs die Eidgenossenschaft der acht alten Orte und unser Vaterland, die Schweiz. Das war kein stilles Wachsen, nein, der Boden ist gedüngt mit Blut…
Sohn: Ich hab es dennoch lieb, auch wenn das Blut in Bächen floss. Grad drum!
Vater: Der Friede, die Einheit, die Einigkeit, die unsere Väter sich erstritten haben, sind wohl bezahlt, mit Blut erkauft. Drum ist das Land uns teuer.»
Ansonsten vermittelt das Spiel eine lebendige, nur etwas allzu lehrhaft aufbereitete Vorstellung von Bruns Machtergreifung und von der Zürcher Mordnacht. In der Radio-Zeitung wurde es als «Hörfolge» angekündigt, während der Autor es als «Hörspiel» bezeichnete: Darin drückt sich die schon erwähnte Diskrepanz aus, welche für die Lage dieser Art Hörspiele im Grenzbereich zwischen dokumentarischer Wirklichkeitsvermittlung und Fiktion bezeichnend ist. Ein Hörspiel zur 600-Jahr-Feier des Beitritts von Zürich zum Bund der Eidgenossenschaft gestaltete fünfzehn Jahre später Alfred Flückiger (1951), der damit den eher dokumentarisch-sachlichen Stil und die didaktische Intention von Holenstein und Vogel wiederaufnahm.
Eine weitere 600-Jahr-Feier gab den erwünschten Anlass zu Hans Rychs festlichem Schlachtenbild «Laupen 1339» (1939). Christian Lerch gestaltete denselben Stoff in seinem Hörspiel «Es war im Jahre 1339» (1944), das als «Sendung für die Auslandschweizer Jugend» ausgestrahlt wurde. Zum Jubiläum «650 Jahre Eidgenossenschaft» wurden 1941 nebst zwei biographischen Hörspielen auch drei Produktionen zu Themen aus der Schweizer Geschichte gesendet. Rosa Schudel-Benz’ Hörspiel in vier Bildern «Die Verbannten» (1941) erinnerte ähnlich wie Hans Rychs Festspiel an einen historischen Sieg, diesmal an jenen in der Schlacht am Morgarten um 1315. In seinem Jubiläums-Hörspiel «St.Jakob an der Birs» (1941) trat der Basler Eduard Fritz Knuchel den Beweis an, dass strategische und materielle Überlegenheit einer feindlichen Grossmacht dem Heldentum einer zum Letzten entschlossenen Kriegerschar nicht gewachsen sei. Es fällt heute schwer, in der Verherrlichung «dieses einzigen kriegerischen Wunders einer Vernichtung, die sich nachträglich und in ihren Folgen in einen Sieg verwandelte»2, etwas anderes als einen propagandistischen Beitrag zur Geistigen Landesverteidigung zu sehen, und zwar in dem eher zweifelhaften Sinne einer Ermutigung durch Abbau von Angst, wie er von Max Frisch beschrieben wird: «Unser Wehrwille gründete sich auf der Hoffnung, dass schon die Demonstration unseres Wehrwillens den Feind abschrecke. Die Nachricht, dass der Feind es trotzdem wagt, wäre ein schauerlicher Schock gewesen, so vermute ich, ein Erwachen noch vor den ersten schweren Verlusten. Wir waren beim Militär, aber nicht gefasst auf Krieg.»3 Etwas abseits stand in dieser Jubiläums-Serie Alfred Fankhausers Hörspiel «Der Kampf um die neue Schweiz» (1941), das in sechs Hörbildern die Entwicklung vom Staatenbund zum Bundesstaat in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts darstellte. Der Stoff schien dem Kommentator der Radio-Zeitung noch so brisant, dass er das Wiederaufbrechen weltanschaulicher und religiöser Ressentiments befürchtete und deshalb eine ausgewogene Verkörperung der gegnerischen Positionen besonders wichtig fand, für deren glückliche Gestaltung er den Autor lobte.4 Hier wird ein charakteristisches Unbehagen spürbar, das seit Mitte der dreissiger Jahre oft aufkam, wenn soziale und innenpolitische Gegensätze thematisiert wurden. Die Geistige Landesverteidigung tendierte darauf, solche zu überdecken oder ihnen wenn möglich aus dem Weg zu gehen.
In Jakob Bührers Hörspiel «Der Stein in der Kirche» (1937) definiert sich der schweizerische Freiheitsbegriff doch wesentlich anders, als es den Propagandisten der Geistigen Landesverteidigung genehm war. Trotzdem wurde es von Studio Zürich produziert und gesendet, nachdem es zunächst von einem anderen Studio mit der Begründung abgewiesen worden war, «uns tue nichts weniger not, als ein Umsturz».5 Bührer behandelt in dieser, seiner wohl bedeutendsten Radioarbeit der Vorkriegszeit eine Episode aus der Zeit unmittelbar vor dem Untergang der Alten Eidgenossenschaft im Umfeld des Stäfner Handels, die zeigen sollte, «dass ein gewaltsamer Umsturz und damit die Katastrophe unvermeidlich ist, wenn wir nicht einen gewaltlosen Umbau vornehmen.» Die Quintessenz: Nur durch die Emanzipation des Volkes durch Bildung kann Freiheit, in diesem Falle die Handels- und Gewerbefreiheit, erlangt werden. Doch in der neuen Zeit, die erst mit dem Umsturz von 1848 anbrach, muss nach Bührers Credo «der eine für den andern stehen, auch wenn er Handel und Gewerbe treibt.»6
Dieses Thema nahm Bührer nach dem Krieg, in einer Zeit, die seinem Anliegen immerhin etwas weniger feindlich gesinnt war, wieder auf. Der «Stäfner Handel» (1950) trat nun selbstbewusst als Titel seines Hörspiels auf, dessen beide Teile, «Das Memorial» und «Der Waldmannbrief», zwei Jahre später sogar zu Ehren des 70. Geburtstags des Dichters wiederholt wurden. Entsprechend der Haltung anderer Autoren dieser Zeit, etwa von Alfred Flückiger, ging es Bührer darum, «an Hand des überlieferten Quellenmaterials ein ungeschminktes, unverfälschtes Bild jenes historischen Vorgangs» zu vermitteln. Doch im Unterschied zu Flückigers Hörspielen zur Geschichte des alten Zürich, die in den fünfziger Jahren zum «eisernen Bestand» des Schulfunks gehörten, suchte er darin «die symbolische gleichnishafte Wirkung.»7 In Zunftvorschriften, Reklameverbot und anderen Hemmnissen, welche die Städter damals gegen die Forderungen der Landgemeinden nach Handels- und Gewerbefreiheit verteidigten, sah Bührer eine Form der «Planwirtschaft», wie sie seit Beginn des Kalten Krieges nicht nur in der Schweiz, sondern auch international heftig umstritten war. Dasselbe Thema wurde dreissig Jahre später von Hansjörg Schneider als Hörfolge gestaltet, deren Titel schon das Bemühen um historische Authentizität erkennen lässt: «Johann Kaspar Pfenninger, Stäfa. Der Stäfnerhandel von 1795 bis hin zum Zusammenbruch der alten Ordnung im Jahre 1798, dargestellt in alten Dokumenten» (1979).
In Bührers «Stäfner Handel» zeigt sich eine intelligente Art der Geschichtsvermittlung in der fiktionalen Form des Hörspiels, eine Darstellung, die nicht einfach historische Taten, vornehmlich Schlachtensiege, als Denkmale überhöht und zur Festigung tradierter Werte zitiert, sondern in Episoden von vielleicht sogar untergeordneter Bedeutung die «gleichnishafte Wirkung», die Analogie und die Möglichkeit eines Bezugs zur Gegenwart sucht. Ein erstes überzeugendes Beispiel dieser Art hatte kurz vor dem Krieg Arthur Welti gegeben, der in vielen von Bührers Hörspielen, so auch in den beiden erwähnten, Regie führte. Sein «Napoleon von Oberstrass» (1938) ist nicht nur die erste wirklich gelungene Hörspiel-Komödie eines Schweizer Autors, diese «komische Geschichte, die beinahe ernst wurde», erzählt in ähnlicher Absicht wie Bührers «Stäfner Handel» eine historische Episode, die ein Schlaglicht auf das politische Leben in einer kleinen Gemeinde vor den Toren der Stadt Zürich und dessen Zusammenhang mit der grossen Weltpolitik wirft. Wie Fankhausers «Kampf um die neue Schweiz» spielt Weltis «Napoleon» während der Regeneration im Vorfeld der Gründung des Bundesstaates 1848, in einer Zeit also der verschärften Konfrontation zwischen einander entgegengesetzten politischen Kräften. Dass Welti für sein erstes und einziges bedeutendes Hörspiel einen historischen Stoff wählte, mag als Konzession an die politischen Verhältnisse seiner Zeit betrachtet werden, die für ihn als Angestellten der SRG wohl unumgänglich schien. Der historische Fall aber war für die Zeitgenossen mühelos als Parabel zu erkennen, deren Hauptvergleichspunkt nicht explizit mit der aktuellen Situation in Beziehung gesetzt werden musste. Die Zuversicht, dass innenpolitische Einigung sich angesichts der Bedrohung durch eine Grossmacht von selbst herstelle, konnte durchaus im Sinne der Geistigen Landesverteidigung verstanden werden. Gesprengt wurde deren enges Korsett durch die Frage, die dem aussenpolitischen Konflikt zugrunde liegt und deren Beantwortung im Spiel erst zur nationalen Einigung führt: die Frage nach den ethischen Prinzipien der Schweizer Asylpolitik. Die Haltung leitender Vertreter des SSV wie etwa des Präsidenten Felix Moeschlin und dessen Sekretär Karl Naef konnte Welti nicht unbekannt sein. Präsident der fünfköpfigen Jury, die sein Hörspiel zu beurteilen hatte, war Eduard Fritz Knuchel, dessen Hörspiel-Erstling 1936 schon eine patriotische Haltung zum Ausdruck brachte, die kaum Hoffnung auf Toleranz gegenüber abweichenden Ansichten liess. Von der Verkündigung unerschütterlicher Grundsätze war Welti weit entfernt. Sein Spiel galt mündigen Hörerinnen und Hörern, die bereit und in der Lage waren, historisches Geschehen zu deuten, mit gegenwärtigen Vorgängen zu vergleichen und daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Sein Hörspiel ging auf «wertvolle Fragen» ein, wie dies in der Wettbewerbsausschreibung gefordert worden war – indem es seinerseits Fragen und in Frage stellte. Und es hat, trotz oder gerade dank dem historischen Stoff, «etwas die Zeit verraten», wie es sich der Verfasser des Kommentars zur Ausschreibung unfreiwillig zweideutig gewünscht hatte.8 Aber Welti enthielt sich im Unterschied zu allen anderen Autorinnen und Autoren der Zeit jeglicher Schulmeisterei. Die Zuhörenden sollten selbständig urteilen.
Der zweite Preis im dritten Hörspielwettbewerb 1937/38 ging an Friedrich Hochstrasser für sein Hörspiel «Der Kampf um Neuenburg» (1938), das den Neuenburger Handel von 1856/57 thematisierte. Er behandelte damit ähnlich wie Welti eine aussenpolitische Krise, die sich eignete, um die Einigung der gegnerischen Parteien im Volk und den Erfolg der Kampfbereitschaft, in diesem historischen Fall gegenüber der preussischen Übermacht, zu demonstrieren. Aber bei dieser Kundgebung der Autonomie des schweizerischen Volksstaates hatte es sein Bewenden. Hochstrassers Hörspiel enthielt keinen politischen Zündstoff wie die Asylproblematik, mit der die Apologie des Wehrwillens in Weltis historischer Komödie gekoppelt war. Die Ernennung Dufours zum Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, Mobilisierung und Besetzung der Grenze boten sich Hochstrasser als noch striktere, unmittelbar evidente Parallele zur aktuellen politischen Entwicklung an. Wie etwas später Paul Lang und Franz Fassbind stellt Hochstrasser den General als Leitfigur in unsicheren Zeiten dar. Weltis Thema hingegen ist der politische Entscheidungsprozess in einem demokratischen Gemeinwesen, wobei in der Schwebe bleibt, was in diesem Prozess den «Gescheitheiten» und was eher den «Dummheiten» zuzurechnen ist.
Soweit die (unvollständige) Bestandsaufnahme für die erste Periode der schweizerischen Hörspielgeschichte. Anstelle einer umständlichen Fortschreibung bis in die jüngste Gegenwart wende ich mich nun der gründlichen Analyse von zwei sehr unterschiedlichen Produktionen zu, die zeigen soll, wohin sich das historische Hörspiel über die folgenden Jahrzehnte entwickelt hat und wie es sich zu den Ansätzen der Frühzeit verhält.
Vergangenheit in kritischer Sicht: «Der Olympiafähndler»
«Das Hörspiel von Hanspeter Gschwend basiert zwar auf den historischen Fakten, ist aber reine Fiktion.» Diese Bestimmung im Ankündigungstext von play SRF ist die prägnantest-mögliche Abgrenzung eines historischen Hörspiels gegenüber einer entsprechenden Hörfolge, die in heutiger Terminologie als Wort-Feature bezeichnet würde. Gschwend arbeitete während dreissig Jahren als Redaktor und freier Mitarbeiter für Radio DRS und schrieb seit 1970 mehr als ein Dutzend Hörspiele, für die er mehrere bedeutende Preise erhielt. Im Jahr 2000 wurde er für sein gesamtes Hörspielschaffen mit dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung geehrt. Wir haben es also mit einem sehr erfahrenen Hörspielautor zu tun, der das Medium Radio von innen kennt. «Der Olympiafähndler» wurde 1997 in Berlin als bestes europäisches Hörspiel des Jahres mit dem «Prix Europa» ausgezeichnet. Mit folgenden Worten begründete die Jury ihr Urteil:
«Basierend auf einer wirklichen Begebenheit, stellt dieses Hörspiel bei der Eröffnung der Olympiade 1936 in Berlin die Kunstfertigkeit des Fahnenschwenkers an der Spitze der Schweizer Delegation dem beunruhigenden Schweizer Nationalismus und der Verblendung der Nazis gegenüber. Ein spielerischer Umgang mit dramaturgischen Einfällen, frischer Darstellungskraft und geradliniger Regie haben die Schweiz zu einer vielfältigen Spielwiese radiophoner Möglichkeiten gemacht.»
Ausschlaggebend war primär sicher die radiophone Qualität. Darüber hinaus waren aber wohl mitentscheidend, wie der Jury-Text andeutet, das historisch-politische Thema von gesamteuropäischer Bedeutung sowie die kritische Aussensicht auf das zentrale Ereignis, verbunden mit deren selbstkritischer Reflexion. Diese besondere Disposition macht Gschwends «Olympiafähndler» zu einer Ausnahmeerscheinung innerhalb der Deutschschweizer Hörspielgeschichte, die genauere Betrachtung verdient. Die besondere sprachliche Form prädestinierte diese Schweizer Produktion zusätzlich für eine Nominierung. Sämtliche Dialoge sind in Hochdeutsch gehalten, jedoch durchsetzt mit lexikalischen und vereinzelt sogar syntaktischen Helvetismen und in einer Art gesprochen, die das schweizerische Idiom deutlich durchscheinen lässt. So fällt es auch kaum auf, wenn der Schaffhauser Matthias Gnädinger die Rolle eines Innerschweizers, des Vaters von Walter Trutziger, spricht. Es ist jederzeit klar, dass hier Schweizer Akteure sprechen, aber alles, was sie sagen, ist auch für ein internationales Publikum verständlich.
Das Hörspiel wirkt auf Anhieb wie die getreue Biografie des Innerschweizer Postangestellten und prominenten Fahnenschwingers Franz Hug (1903-74), der zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 1936 in Berlin die Schweizer Delegation mit seinen Fahnenschwüngen anführte und sich nach seinem Auftritt im Luzerner Telefonbuch als «Olympiafahnenschwinger» eintragen liess. Das Gerücht, Hug habe sich dazu überreden lassen, nach seinem offiziellen Auftritt in privatem Rahmen auch die Hakenkreuz-Fahne zu schwingen, und andere Differenzen führten zum Zerwürfnis mit dem Jodlerverband (ZSJV) und schliesslich zu einem Prozess bis vor Bundesgericht, den Hug gewann. In den folgenden Jahren bereiste er die Welt und hatte als fahnenschwingender Unterhaltungskünstler Erfolg, unter anderem als Darsteller in mehreren Hollywood-Filmen. Soweit in aller Kürze die historischen Eckdaten.
Hanspeter Gschwend hält sich in seinem Hörspiel an die überlieferten Fakten, teils bis ins Detail, etwa der von der Firma Krupp gestifteten Magnesium-Fackeln. Geändert hat er die Namen der Personen. Mit über zwanzig Stimmen gehört der «Olympiafähndler» zu den aufwendigen Produktionen des dramatischen Hörspiels, die im entsprechenden Beitrag dieses Blogs ausgespart wurden. Man erinnert sich daran, dass etwa Arthur Manuel 1927 die Zahl der Personen grundsätzlich auf höchstens fünf beschränken wollte. Die Annahme, die Zuhörenden könnten nur wenige Stimmen unterscheiden, taucht in der Geschichte der Hörspieldramaturgie immer wieder auf. Ihren Ursprung nahm sie wohl mit Alfred Brauns frühem Versuch (1925), «Wallensteins Lager» nach Schillers Drama im Haus der «Berliner Funkstunde» mit einer Heerschar von Darstellern in Kostüm und voller Kriegsmontur zu inszenieren. Gschwend reduziert die Komplexität geschickt, indem ein Teil des Personals ausschliesslich in Berlin auftritt. Die Hauptfigur seines Hörspiels heisst – nomen est omen – Walter Trutziger. In der «Mephisto»-Rolle des Antagonisten agiert der SS-Oberst Dr. Isselhorst. Diese Figur trägt den authentischen Namen eines hohen SS-Offiziers, der nach dem Krieg wegen zahlreicher Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt und in Strassburg hingerichtet wurde.
Das Spiel beginnt sanft mit Klängen des «Contemporary Alphorn Orchestra» von Hans Kennel & Mytha, gemischt mit diskretem Kuhglockengeläut, das seinerseits den folgenden Dialog zwischen Vater Trutziger und seinem halbwüchsigen Sohn Walti untermalt. Der Bub hat sich eine Fahne gebastelt und hinter dem Haus das «Fähndeln» geübt. Der Vater ist damit nicht einverstanden und möchte, dass der Sohn ein Schwinger, ein «Knechtenschüttler», wird und «von Mann zu Mann» kämpft. Ein kurzes musikalisches Intermezzo überbrückt den grossen zeitlichen Sprung zur Folgeszene: Langgezogene Alphorntöne unterlegen einen Sprechgesang, das Gelöbnis, «der Heimat zu dienen». Nach einem harten Schnitt folgt die nächste Szene und alle weiteren, die stets durch kurze musikalische Intermezzi, oft nur signal-artig, voneinander getrennt werden, wie dies in den Anfangszeiten des Hörspiels, teils sogar noch in Form von Klingelzeichen, gebräuchlich war.
Fahnenschwingen, Schwingen, Jodeln und Alphornblasen sind Spielarten der Folklore, die alle in diesem Hörspiel repräsentiert sind, ersteres sogar als Hauptthema. Man könnte es unter diesem Aspekt als folklore-geschichtliches Werk spezifizieren, aber das entspräche nicht seiner gesellschaftskritischen Zielrichtung. Walter Trutziger zieht es zu den Fahnenschwingern. In der zweiten Szene, nach einem Zeitsprung über viele Jahre, erleben wir die Probe für eine Vorstellung vor zahlendem Publikum in einer Hotelhalle in Marseille. Walter, nunmehr ein erwachsener Mann, und sein Kollege Remigi, verstehen sich als Künstler, die Schwinger gelten ihnen als «bockige Stierengrinde». Der dramatische Konflikt nimmt seinen Lauf und erreicht in der folgenden Szene schon eine erste Krisis: «Gewerbsmässiges Fähndeln» ist gemäss Statuten des Verbandes verboten. Der Präsident nimmt zu Protokoll, dass der Trutziger Walter und sein Kollege in einem Varieté im Duett gefähndelt und damit dieses Gebot übertreten haben. Trutziger nennt sich zudem reglementswidrig «Fahnenschwingerkönig». Die Warnung vor einem Ausschluss aus dem Verband schlägt er in den Wind. Er möchte die weite Welt kennen lernen und die Aufmerksamkeit der «grossen Leute» auf sich ziehen. Sein Beruf als folkloristischer Unterhaltungskünstler nimmt ihn bald so sehr in Anspruch, dass er nicht einmal Zeit zum «Weiben» hat, wie ihm seine Mutter vorwirft.
Ein Angebot für ein Engagement in einer Filmproduktion trifft aus Amerika ein. Zunächst ist Walter aber eingeladen, die schweizerische Delegation bei den olympischen Spielen in Berlin anzuführen. Seine Mutter freut sich darauf, ihn zu begleiten. Der Vater hingegen tobt, sein Sohn soll nicht nach Deutschland reisen, zu «dieser braunen Lumpenbande». Er sieht ihn im Sold der «Mammonvögte» und «Brauchtumsschänder» und nennt ihn einen «Volksverräter». Beim handgreiflichen «Hosenlupf» unterliegt er aber und entlässt den Sohn mit dem vielsagenden Fluch «Der Teufel soll dich schützen!» Die Kunde von der Eröffnungsfeier der Olympiade mit Hitler-Zitat in O-Ton dringt quasi dokumentarisch per Radioreportage in die Gaststube der Dorfwirtschaft, womit die Distanz zwischen den zwei Welten überbrückt, zugleich aber auch betont wird. Der Reporter berichtet begeistert, wie Hitlerjungen 20’000 Friedenstauben fliegen lassen – eine unverschämte Heuchelei und Leugnung von Hitlers tatsächlichen Absichten. Empörung bricht unter den Schweizer Radiohörenden aus, als die französische Delegation den Arm zum deutschen Gruss erhebt. Der Bericht über den Auftritt der Schweizer geht im Tumult unter.
Den Dreh- und Angelpunkt des Hörspiels bildet das private Fest, das der von Mutter Trutziger wegen seiner Jovialität bewunderte SS-Sturmbannführer Isselhorst zum Abschied der Schweizer Delegation und weiterer geladener Gäste gibt. Seine doppelbödige Festrede beginnt konventionell, nimmt aber rasch eine Wendung, die als politische Absichtserklärung und verhohlene Drohung verstanden werden muss: Es ist «ein Abschied unter Schwestern und Brüdern eines Volkes, und das Volk weiss: Nur was getrennt ist, kennt die Freude der Vereinigung, was getrennt ist, will immer sich vereinen, und was getrennt ist, wird eines Tages sich vereinen.» War die ganze Olympiade noch allgemeine NS-Propaganda, die sich an Deutschland, Europa und die Welt richtete, so wird hier der Anschluss der helvetischen Alpenrepublik an das «tausendjährige» Reich proklamiert – fiktives Konzentrat eines in Wirklichkeit lang andauernden politischen Infiltrationsprozesses. In dieser Sache waren die Frontisten in der Schweiz seit Beginn der dreissiger Jahre aktiv. Einer von ihnen, Paul Lang, hatte sogar schon ein erfolgreiches Hörspiel verfasst. 1936 erschoss David Frankfurter in Davos den Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz, was vermutlich zur Folge hatte, dass das Treiben der Nationalen Front fortan stärker überwacht wurde. Dass die von Isselhorst beschworene «Vereinigung» notfalls auch gewaltsam durchgesetzt werden sollte, zeigen die deutschen Invasionspläne der Operation «Tannenbaum» aus dem Jahr 1940.
Isselhorst lässt es aber nicht bei dieser Proklamation bewenden. Seinen perfiden Plan, den Fahnenschwinger als Symbolträger schweizerischer Unabhängigkeit zu vereinnahmen und öffentlich zu kompromittieren, realisiert er mit einem Geschenk, das Walter Trutziger naiv entgegennimmt: In einem schwarzen Futteral erhält er eine Hakenkreuz-Schwingerfahne mit extra modifiziertem kurzem Schaft mit Griff und bedankt sich artig dafür. Wer könnte da den kleinen Wunsch abschlagen, dass der Olympiafähndler in geschlossenem Kreis nun doch noch beide Fahnen schwingt! Die Fest-Szene endet mit dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes durch die anwesenden SS-Leute: «Die Fahne hoch! / Die Reihen fest geschlossen! … // Die Strasse frei / Den braunen Bataillonen…» Ob Trutziger dem Ansinnen des Gastgebers entsprach, bleibt allerdings im Dunkeln, was der historischen Realität entspricht. Die Mutter fällt als Zeugin aus, da sie vor Aufregung in Ohnmacht gefallen ist. Nach der Rückkehr wird sie ihren Sohn vor den kursierenden Gerüchten in Schutz nehmen. Eine klare Antwort auf ihre Frage, wie er sich verhalten habe, verweigert er aber, und auf ihre Forderung, er solle die geschenkte Hitlerfahne verbrennen, geht er nicht ein. Später bestreitet er vehement, die braune Fahne geschwungen zu haben.
Die Produktion historischer und biografischer Hörspiele wurde in der Schweiz, wie einleitend gezeigt, der mehr oder weniger plumpen Propaganda im Sinne der Geistigen Landesverteidigung dienstbar gemacht, nicht ohne Anklänge an Sprache und Ideologie des dritten Reiches. Der Verbandspräsident in Gschwends Hörspiel lobt auch ganz unbefangen das Fahnenschwingen als «unser völkisches Kulturgut». Arthur Welti und Jakob Bührer gehörten zu den Wenigen, die solchen Einflüssen widerstanden und eine differenzierte Betrachtung historischer Vorbilder anstrebten. Hanspeter Gschwends Hörspiel verfolgt eine ganz andere, gegenteilige Zielrichtung, was den (von aussen veranlassten) Bestrebungen der neunziger Jahre nach Aufarbeitung der schweizerischen Politik der Vorkriegs- und Kriegszeit entspricht. «Der Olympiafähndler» muss als kritisches Hörspiel verstanden werden, das das persuasive Potential der NS-Ideologie einerseits und die Korrumpierbarkeit durchaus wackerer Eidgenossen andererseits erlebbar und damit nachvollziehbar macht – ganz im Sinne dessen, was Büchner dem Dramatiker zutraute. Das Medium Hörspiel scheint dazu besonders geeignet: Da die sichtbare Dimension fehlt, reisse es die Schranken zwischen Vergangenheit und Gegenwart nieder, schrieb der frühe Theoretiker Richard Kolb, was für ihn gegen die Inszenierung historischer Hörspiele sprach.
Vergangenes zu kritisieren, hat allerdings keinen Sinn, wenn damit nicht gegenwärtige Entsprechungen gemeint wären. Wie sich heute zeigt, können solche auch später erst deutlich zutage treten. Die Möglichkeit eines ziemlich direkten Bezugs zu den olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi ist dabei nur die auffälligste Parallele. Man könnte behaupten, der «Olympiafähndler» gewinne in jüngster Zeit zunehmend an Aktualität.
«Auf dem Scherbenberg»: Geschichte als Thema
Lukas Hartmanns Hörspiel «Auf dem Scherbenberg» (1986) endet auf dem Monte Testaccio, einem Hügel in Rom, der in der Antike während Jahrhunderten aus den dort gelagerten Scherben zerbrochener Amphoren emporwuchs: Symbol der Geschichte schlechthin. Der Vorsatz, Geschichte in diesem umfassenden Sinn als Thema zu behandeln, macht dieses Werk zu einer absoluten Ausnahmeerscheinung im Bereich des historischen Hörspiels.
«Nach meinem einjährigen Rom-Aufenthalt», so schrieb Hartmann 1984 an Studio Bern, «habe ich das Bedürfnis, meine Eindrücke zu verarbeiten.» Und weiter: «Rom, das auf dem Schutt der abendländischen Geschichte steht, hat mich gelehrt, die Grenze zwischen Wirklichem und Unwirklichem, zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, leichtfüssig zu übertreten oder gar nicht mehr zu beachten.»9 Die Zusage des Radios macht er zur Grundlage der Rahmenhandlung seines Hörspiels: Ein Schriftsteller, der eine Auftragsarbeit über Rom verfassen muss, wird vom barocken Baumeister, Bildhauer und Maler Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) durch die sich in Schichten überlagernden baulichen Zeugen vergangener Epochen geführt. Er vertritt die Position der Gegenwart im Diskurs mit dem zum Leben wiedererweckten Repräsentanten einer fremd anmutenden vergangenen Zeit. Die von Dante inspirierte Führung verweilt, Bernini sei Dank, während gut der Hälfte der Spielzeit im Barockzeitalter, dessen Lebensgefühl Hartmann in seiner unmittelbaren Gegenwart wiedererkennt. In seinem Roman «Aus dem Innern des Mediums» schreibt er:
«Ungeduldig umkreist du das Bernini-Elefäntchen, das in treuer Stärke seinen Obelisken trägt. Bernini […] ist allgegenwärtig in Rom; er ist immer schon da wie der Igel im Märchen – und doch sucht man vergeblich nach seiner wahren, seiner eigentlichen Handschrift.»10
Das barocke Rom, das Bernini als päpstlicher Baumeister während Jahrzehnten mitgeprägt hat, ist so präsent, dass eine ausgiebige Würdigung dieser Epoche unvermeidlich erscheint, wenn auch der Reisende aus der Gegenwart diese bald schon als zu ausführlich und einseitig empfindet. Dass sein Überdruss auf die Zuhörenden überspringt, ist wohl beabsichtigt und erzeugt eine gewisse Spannung auf den weiteren Fortgang. In der Basilika Santa Maria Maggiore wird zunächst das auffallend bescheidene Grab des Maestro besichtigt. San Carolino (Carlo) alle Quattro Fontane ist hingegen ein Hauptwerk seines Schülers und späteren Erzrivalen, des Tessiners Francesco Borromini (1599-1667), den Bernini als elenden «Kulissenschieber» taxiert. Seine «Antwort» darauf ist Sant’ Andrea al Quirinale mit quergestelltem ovalem Grundriss, sein «Lieblingskind», das er aber für seinen Kunden als zu anspruchsvoll betrachtet. Für ihn hat er «was Leichteres»: den Trevi-Brunnen, zu dem er ein paar Skizzen anfertigte, der aber später von Nicola Salvi (1597-1651) ausgeführt wurde und der dem reisenden «Skribenten» schwärmerische Reminiszenzen an Anita Ekbergs Badeszene in Fellinis «La Dolce Vita» ermöglicht. Es folgen das Pantheon und Berninis Vierströme-Brunnen auf der Piazza Navona, wo man die Werke von Bernini und Borromini unmittelbar miteinander vergleichen kann.
Der Kulturtourist aus dem Norden fühlt sich bald übersättigt von so viel Barock und lädt seinen Führer zum Espresso in eine Bar ein. Wir tauchen auf im tönenden Ambiente der säkularen Gegenwart, das aber nur kurz angespielt wird: ein paar Stimmen, Stühlerücken, ganz von fern eine Kaffeemaschine. Anschliessend wird die etwas klischeehafte Stimmung, die an Ferienimpressionen aus der Kindheit anknüpft, in der Art eines traditionellen «Hörbildes» fast ausschliesslich mit Worten evoziert, aber so eindringlich, dass man all dies im Moment zu hören und zu sehen meint: «Diese schöne Geschäftigkeit hinter der marmorverkleideten Theke, das Zischen der Espressomaschine, die Tramezzini mit Tomaten und Ei, die Gelatokübel, das Rattern der Kasse und an der Wand ein Telefon, das nicht funktioniert», ein Cornetto Crema, das mit all seinen verlockenden Eigenschaften beschrieben wird, all dies konvergierend in dem Satz: «In der Bar, da schlägt das Herz Italiens.» – Für Bernini sind dies belanglose moderne Äusserlichkeiten.
Nach der langen «barocken Ausschweifung» und anschliessenden Stärkung führt Bernini seinen Gast auf den Petersplatz der Gegenwart, wo Papst Johannes Paul II. (1920-2005) soeben den apostolischen Segen urbi et orbi spricht. Seine Grussbotschaften in allen Sprachen und das Amen der versammelten Gläubigen werden in mehreren takes zwischen die folgenden Dialoge der beiden Stadtwanderer geschnitten. Bernini extemporiert nun über zwei Glockentürme, die nach Carlo Madernos (1556-1629) Plan links und rechts von Sankt Peter hochgezogen werden sollten. Ob sie dessen Wirkung gesteigert oder das Bauwerk verdorben hätten, wie sein Gast vermutet, bleibt unentschieden. Bernini oblag es als Madernos Nachfolger, den vom Papst gebilligten Plan auszuführen. Als Risse im Unterbau des linken Turms entdeckt wurden, wurde ihm der Bauauftrag entzogen. Ausgerechnet Borromini musste seine Berechnungen nachprüfen und gab ihn dem Gespött preis, der Turm musste Stein für Stein wieder abgebaut werden und Bernini fristete während Jahren ein Schattendasein.
Der Schweizer Gast hat es nun satt, sich mit den «Wehwehchen» des eitlen Barockbaumeisters abzugeben, und weigert sich, auch noch den Dom zu betreten und dort dessen fast dreissig Meter hohen Prunk-Baldachin zu bewundern. Er möchte sich anderen Schichten von Roms Vergangenheit zuwenden. Als Alternative bietet Bernini die Basilika San Clemente al Laterano an, die er ihm mit den Worten: «Das ist das andere Rom!» schmackhaft zu machen versucht. Hier kann man durch die mittelalterliche Oberkirche zur frühchristlichen Unterkirche und darunter sogar zu den Überresten eines heidnischen Mithras-Tempels aus dem zweiten Jahrhundert gelangen. Im stufenweisen Abstieg in immer tiefere Schichten besteht der zweite, wesentlich kürzere Teil des Hörspiels. Verärgert über die unverrückbare, einseitige Perspektive seines Führers, ergreift der Zeitreisende am Ende die Flucht und irrt durch die Strassen des modernen Rom. Nach minutenlangem Strassen-Ambiente überlagern sich im Traum alle bisherigen akustischen Eindrücke, bis er von seinem Mentor im Borghese-Park eingeholt und geweckt wird.
Wir halten Rückschau und machen uns ein paar Gedanken zur radiophonen Form dieses in jeder Hinsicht aussergewöhnlichen Hörspiels. Dass es vom Autor ursprünglich als Feature geplant war, merkt man den teils sehr langen Originalton-Passagen an, in denen das pulsierende Alltagsleben der Grossstadt mit Sinnen fassbar wird wie bis dahin noch in keiner anderen Schweizer Hörspiel-Produktion. Dass in einem Hörspiel umfangreiche O-Ton-Aufnahmen verwendet wurden, ist per se schon als Experiment zu werten. Allerdings handelt es sich eher um ein Gemenge von Feature-Elementen und Hörspieldialogen, das für heutige Ohren allzu heterogen wirkt. Charles Benoit, Berner Regisseur einer damals noch jüngeren Generation, überzeugte den Autor, dass seine Aufnahmen besser wirkten, wenn man sie den Dialogen nicht wie geplant als «Ambiance» unterlegt oder gar als «permanente Störung der Gespräche» verwendet, sondern sie konsequent davon trennt und quasi «kontrapunktisch» inszeniert. Hartmann erkannte in diesem Vorschlag eine Chance, die Zuhörenden aktiv zu beteiligen, indem sie «das Mosaik selbst zusammenstellen» müssen, und stimmte Benoits Konzept zu. Im Rückblick empfand er dies als richtige Entscheidung.11
Diese dramaturgische Auffassung hat eine lange Tradition. Bevor man noch erste praktische Erfahrungen mit dem Hörspiel gemacht hatte, postulierten Theoretiker Mitte der zwanziger Jahre schon, man müsse Geräusche mit grosser Zurückhaltung verwenden. 1945 machte sich der Basler Radiomann und Regisseur Werner Hausmann differenzierte Gedanken zu diesem Thema, die auch heute noch zumindest teilweise einleuchten. Geräusche erschienen ihm generell als eine fragwürdige «Zutat», deren man sich im Hörspiel nur mit Vorsicht bedienen sollte.12 Im Unterschied zum Bild der Fotografie oder des Stummfilms, welches die Existenz eines Dinges vermittelt, könne das Geräusch lediglich dessen Aktion wiedergeben. Lautlose und ruhende Erscheinungen, die einen Grossteil unserer visuellen Wahrnehmung ausmachen, könnten durch Geräusche nicht wiedergegeben werden. Zudem seien viele Geräusche nicht eindeutig zu identifizieren und von anderen zu unterscheiden. Das Geräusch als illustrierende, realistische Kulisse wollte Hausmann nur noch gelten lassen – und hier setzt eine folgenschwere, willkürliche Einschränkung ein –, «wo ihm unmissverständliche Charakterisierung oder symbolische Bedeutung innewohnen»13, wo es also eine relevante dramaturgische Funktion hat. Wenn immer möglich wären nach dieser Auffassung Geräusche durch das Wort zu ersetzen, dessen Wirkung, bei Bedarf, durch Musik verstärkt werden könne. «Das Wort allein kann uns unfehlbar kundtun, was vorgeht. Es kann, richtig angewendet, alles ausdrücken. Das Geräusch sehr wenig.»14 Realistische Geräusche, welche die Dimension des Sichtbaren anklingen lassen, äussere Realität und Aktualität vermitteln, akustische Wirklichkeit um ihrer selbst willen ins Spiel einfliessen lassen, dem Hörer damit auch seine Distanz zum Geschehen bewusst machen, wurden denn auch in der Folge bis über die Jahrhundertwende hinaus von den Dramaturgen des Deutschschweizer Radios abgelehnt. Diese Doktrin musste jeder newcomer im Team der Hörspielproduzierenden verinnerlichen. Benoit war in dieser Hinsicht also nicht ganz frei, sich auf die Grundidee des Autors einzulassen. Seine Argumentation wirkte aber im Sinne von Hausmann so überzeugend, dass Hartmann ihm zustimmte.
Dabei hatte Lukas Hartmann, der selbst über praktische Erfahrungen als Radio-Mitarbeiter verfügte, zusammen mit dem Tontechniker Jack Jakob über Ostern 1985 weit mehr als nur die obligate, schon 1932 typisierte15 Bahnhofhallen-Ambiance auf Tonband festgehalten. In seinen Aufnahmen kommen öfter Wortäusserungen im Originalton vor, nicht nur jene der Ansagerin der Römer Stazione Termini, sondern mehrmals die Erläuterungen von tourist guides in verschiedenen Sprachen, sogar auf Berndeutsch, die Ostergrüsse des Papstes in allen Sprachen der Welt, dazu das Amen der versammelten Gläubigen im Chor, Orgelklänge und Litaneien im Wechselgesang mit den Gläubigen, ein Glockenschlag und ferner Trompetenklang, das Geläut von San Clemente nebst dem notorischen Hupkonzert im Strassenlärm. Es geht also nicht nur um einzelne Geräusche, sondern um akustische Gesamteindrücke, die auch sprachliche und musikalische Elemente umfassen. Den «Raum» für all diese akustischen Äusserungen der ewigen Stadt bilden die unterschiedlichen originalen Nachhallcharakteristiken aller Orte der Handlung. Hartmanns Tonaufnahmen hätten zahlreiche Möglichkeiten zur Reaktion und Anknüpfung im Hörspieldialog geboten. Kurzzeitige laute Schallereignisse würden sich sogar zur Interpunktion der Dialoge eignen. Eine stärkere Integration der Ambiance des österlichen Rom wäre also möglich gewesen, ohne dass der gesprochene Text im permanenten Geräusch-«Teppich» untergehen müsste.
Der allzu vordringliche mosaikartige Charakter der Inszenierung trägt ihr denn auch die berechtigte Kritik eines Rezensenten ein, das Hörspiel leide nicht nur unter der Überbetonung des barocken Erbes, sondern auch unter «Längen, wenn die Geräusche zum Selbstzweck werden, wenn es scheint, als ob Hartmann seine Ausbeute an Tonmaterial habe loswerden wollen (die vielsprachigen Ostergrüsse des Papstes etwa), ohne auf dramaturgische Stringenz zu achten.»16 Eine andere Kritikerin wendet unverblümt ein: «Vielleicht hätte ein ständiger Geräuschhintergrund, wie es sich der Autor vorstellte, das Ganze doch aussagekräftiger abgerundet.»17 Etwas in dieser Art hatte vier Jahre zuvor Matthias von Spallart in seinem mehrfach preisgekrönten Kunstkopfstereo-Feature «Brasil! Akustische Impressionen vom Amazonas bis Rio de Janeiro» (1982) realisiert: ein ununterbrochener «Hörfilm» mit vielen Überblendungen. Im Vordergrund, nah beim Mikrophon, berichtet und beschreibt der Ich-«Erzähler», was nicht mit Originalton zu vermitteln ist. Die Produktion gilt noch heute als ein unerreichtes Vorbild. Seit etwa zwanzig Jahren wagen nun auch Hörspielmacher diesen Schritt zur weitgehenden Integration von Wort und Originalton.»
Hartmann hat sich eine enorm schwierige Aufgabe vorgenommen, die er mit den damaligen Voraussetzungen des Hörspiels formal nur teilweise bewältigen konnte. Der biografische Teil, das Leben und Werk eines Barockkünstlers, lässt sich mit herkömmlichen Mitteln – in Form von erzählten «Geschichten» – noch leicht bewältigen. Als dramatisches Gerüst dient der Dialog zwischen dem Führer Bernini und seinem Kunden, der sich aber wegen der starken Polarisierung rasch abnützt. Im Unterschied zu den meisten historischen Hörspielen dominieren die dramatischen Passagen nicht. Durch die Wahl seines Mentors Bernini hat sich der Autor aber auch für ein vorrangig visuelles Thema entschieden, das er nicht ohne Wort-Kulissen in die Welt des Hörspiels übersetzen kann. So eindringlich wie in der Bar-Szene gelingt das nicht in allen Fällen. Eine «Hauptrolle» spielt die ihrem Wesen nach statische architektonische Kulisse, die sich aber auch rasch wandeln kann, wie das Beispiel der Türme von St. Peter zeigt. Das Geschehen auf dem Platz davor ist zwar dynamisch, aber Nebensache, es unterliegt dem Zufall und der Flüchtigkeit des historischen Augenblicks, was eigentlich eher für ein Feature typisch ist. Die Wirkung anderer Bauwerke bleibt mehrheitlich vage, ist auf die kunsthistorischen Vorkenntnisse des Publikums angewiesen. Plastischer wirken die erzählenden Einschübe Berninis und vor allem einzelne Spielszenen wie die Begegnung mit dem politischen Eiferer Cola die Rienzo (1313-54) oder das Erlebnis einer heidnischen Messe im Mithras-Heiligtum.
Hanspeter Gschwend kann seine «Geschichte» von A bis Z mit dramatischen Mitteln linear darstellen, Lukas Hartmann muss das ganze Arsenal hörspieldramaturgischer Wirkungsmittel mobilisieren, um sein – zwangsläufig rudimentäres, mosaikartiges – Bild der «Geschichte an sich» am Beispiel der «ewigen Stadt» Rom zu entwerfen. Sein Hörspiel ist ein einmaliges Experiment und ein kühner Wurf, der nicht ganz gelingen konnte. Vor allem aber hat Hartmann damit eine für die Zukunft wichtige Frage gestellt, ohne sie zu beantworten: Lassen sich Feature und Worthörspiel integrieren, und mit welchen dramaturgischen Mitteln? Sobald eine befriedigende Antwort gefunden ist, werde ich sie in Form eines Kommentars unten an diesen Artikel anhängen.–
Der kurze letzte Teil von Hartmanns Hörspiel soll nicht unbeachtet bleiben. Die Tour endet wie bei der Agentur üblich auf dem Monte Testaccio, dem Scherbenberg, etwas ausserhalb des historischen Kerns, wo der zeitreisende Stadtwanderer eine Zusammenschau der Weltsichten dreier Zeitalter erlebt, die einen philosophischen Rahmen für seine Exkursion abgibt. Hier treffen er und Bernini auf drei andere Touristenführer, die sich die kurze Zeit bis zum Sonnenuntergang mit einem Disput über Vergänglichkeit und Ewigkeit vertreiben. Der römische Kaiser Publius Aelius Hadrianus (76-138) empfängt den Gast mit der Frage: «Glaubst du an ein Leben nach dem Tod, Fremder?», welche dieser nur ausweichend beantwortet. Der Filmautor Pier Paolo Pasolini (1922-75) glaubt an ein Leben vor dem Tod. Giovanni di Pietro di Bernardone, der «heilige» Franziskus von Assisi (1181/82-1226), ist noch immer überzeugt von der leiblichen Auferstehung seines gekreuzigten Gottes. Hadrian gilt dies nur als ein Bild, das besagt, dass grosse Ideen lebendig bleiben. Er fand, dass auch in anderen Kulten Wahrheit sei – «und so liess ich alle gelten», zum Beispiel die Mithras-Mysterien, die dem Reisenden aus dem Norden grossen Eindruck gemacht haben. Für Pasolini ist Auferstehung weder ein Bild noch ein Faktum. Ihm geht es um den «Aufstand gegen das selbst erschaffene Konsumgüter-KZ». Er predigt die Rückkehr zur Einfachheit wie Franziskus, aber als radikale Abkehr von dem «Plastik-Universum, in dem wir leben». Der Tod besteht für ihn nicht darin, dass man körperlich stirbt, sondern «dass man lebendigen Leibes gestorben ist und es nicht einmal merkt.»
Kaiser Hadrian leitet das Ende des Diskurses ein mit den Worten: «Alles vergeht, das ist die einzige Wahrheit, die wir nicht anfechten können. Mit ihr müssen wir leben und sterben». Jeder von ihnen hat sich ein Jenseits erfunden, das seinem Geschmack entspricht. Für ihn ist es das «dunkle Vergessen», für Franziskus das Reich des Herrn. Und Bernini muss seine Ewigkeit absitzen auf einer kitschigen rosa Barockwolke an der Seite Borrominis. Nach kurzem Zank zwischen Bernini und seinem Erzrivalen entschweben die Gestalten aus der Vergangenheit unter Theaterdonner, jeder in sein Jenseits. Der Reisende, dem die Vergangenheit vor der Führung noch «Schutt und Asche» bedeutet hatte, bleibt auf dem Scherbenberg zurück. Ihm kommt das Erlebte gar nicht mehr so vergangen vor. Er hat sich bewährt als einer, der dem Reiz des Gewesenen erliegt und ihm zugleich widerstehen kann.
Das Hörspiel endet, wie es begonnen hat, mit einer unkommentierten O-Ton-Passage: Geräusche einer U-Bahn-Station, ein einfahrender und kurz darauf wieder abfahrender Zug. Wir sind im Wagon mit dabei…
- G.v.Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart (Kröner) 5/1969, S.330 ↩︎
- E.F.K., »St.Jakob an der Birs«, In: SRZ 18/41 ↩︎
- M.Frisch, Dienstbüchlein, in: Frisch, Max, Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, hrsg. von H.Mayer unter Mitwirkung von W.Schmitz, FfM. (Suhrkamp) 1976, Bd.VI, S.580 ↩︎
- R., 650 Jahre Eidgenossenschaft: Vom Staatenbund zum Bundesstaat, In: SRZ 43/41 ↩︎
- J.Bührer, Stimmen über dem Gotthard. Hörspiele und anderes, Aarau (Druckereigenossenschaft) 1936, S.8 ↩︎
- ib., S.97 ↩︎
- J.B., Stäfner Handel, In: SRZ 38/50, S.11 ↩︎
- Anonym, Zwischen Sender und Lautsprecher, in: SRZ 39/37, S.3; offizielle Wettbewerbs-Ausschreibung, in: SRZ 39/37, S.22 ↩︎
- Ansage des Hörspiels 1986 ↩︎
- Hartmann, Lukas, Aus dem Innern des Mediums (Roman), Zürich (Nagel & Kimche) 1985, S.143 ↩︎
- Lukas Hartmann im Gespräch mit Elisabeth Gyger, das im Anschluss an das Hörspiel gesendet wurde ↩︎
- vgl. Hausmann, Werner, Hörspiel-Geräusche, in: Schenck, Ernst von (Redaktion), Schweizer Annalen, Nr.5/6, Sonder-Heft Radio, Aarau (AZ-Presse), 1945, S.352 ff ↩︎
- ib., S.354 ↩︎
- ib., S.353 ↩︎
- vgl. Anonym, Hörbilder, in: SIRZ 45/32, S.1423 f ↩︎
- dlw., «Auf dem Scherbenberg» – ein «österliches Rom», NZZ, 3.4.86 ↩︎
- Gisi, Ruth, Espresso mit Barock, Basler Zeitung, 3.4.86 ↩︎
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