Periodisierung der Deutschschweizer Hörspielgeschichte
Aus heutiger Sicht kann man drei Entwicklungsphasen des Deutschschweizer Hörspiels von je zwanzig Jahren deutlich unterscheiden: die Frühzeit von den Anfängen des Radios bis zum Ende des zweiten Weltkriegs, die Nachkriegsperiode bis 1965 und die «Abteilungsära» bis 1985. Um eine Gliederung der verbleibenden vierzig Jahre bis heute vorzuschlagen, fehlt mir der Überblick. Dazu wären am ehesten Insider des Mediums in der Lage. Eine klare Periodisierung ist oftmals erst aus grösserer zeitlicher Distanz möglich.
Alle drei genannten Perioden beginnen mit einem starken Aufschwung und enden in der Krise. Die erste Periode nimmt ihren Anfang eigentlich erst um 1927, nachdem der Vorrat an Sendespielen ausgeschöpft ist, mit den Originalhörspielen von Richard Schweizer. Ein Etappenziel wird 1931 mit Paul Langs Rundfunk-Epopöe «Nordheld Andrée» erreicht, die sich stark an deutschen Vorbildern orientiert und das Schweizer Hörspiel, allerdings mit einer Verzögerung von zwei Jahren, auf den damaligen Stand der internationalen Hörspielproduktion hebt. Trotz der bald danach einsetzenden Ausrichtung auf nationale Werte vermag es mit der ausländischen Entwicklung bis zum Ende der dreissiger Jahre Schritt zu halten. Als Höhepunkt der ersten Periode kann man Arthur Weltis «Napoleon von Oberstrass» (1938) betrachten, eine Produktion, die von den technischen und dramaturgischen Möglichkeiten ihrer Zeit Gebrauch macht und Probleme von nationaler Bedeutung differenziert und wirkungsvoll behandelt. Äussere Zwänge und Beschränkungen des Kriegsregimes, vielleicht auch der Mangel an Anregungen aus dem Ausland, liegen der anhaltenden Krise zugrunde, der das Hörspiel danach während Jahren verfällt. Zum Teil wird es zu propagandistischen Zwecken im Dienst der Geistigen Landesverteidigung missbraucht. Das anfänglich kooperative Verhältnis zwischen Autoren und Vertretern des Radios weicht im Laufe der dreissiger Jahre einer für die «Geistesarbeiter» wenig attraktiven Geschäftsbeziehung zwischen Auftraggebern und Textlieferanten. Während der Kriegsjahre macht sich der Mangel an Hörspielautorinnen und -autoren immer deutlicher bemerkbar. Immerhin wird in dieser Zeit das Format der schweizerdeutschen family serials entwickelt, das die Grundlage eines äusserst erfolgreichen Entwicklungsstrangs der Nachkriegsperiode bildet.
Eine Demokratisierung des Verhältnisses zwischen Programmgestaltern und Publikum sowie das Bemühen um Aktualisierung der Programminhalte führen schon bald nach dem Krieg aus der allgemeinen Radiokrise heraus. Das Mundarthörspiel erlangt in dieser zweiten Periode mit einer Reihe von unterhaltenden Serien ungeahnte Popularität, die bis in die Mitte der sechziger Jahre anhält und einer ganzen Generation von Radiohörerinnen und -hörern noch während Jahrzehnten in Erinnerung bleiben wird. Das literarische Hörspiel in hochdeutscher Sprache hingegen erlebt mit der Ablehnung von Dürrenmatts Erstling «Der Doppelgänger» (1946) einen peinlichen Fehlstart. Sowohl Dürrenmatt als auch Frisch können in Schweizer Radiostudios nicht heimisch werden und überlassen ihre Hörspiele vornehmlich bundesdeutschen Sendeanstalten zur Produktion. Dies scheint zum Teil zumindest eine Folge des unausgeglichenen Verhältnisses zwischen den Exponenten des Mediums und den Schriftstellern zu sein. Zu einer engen Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten, wie sie sowohl Frisch als auch Dürrenmatt im Bereich des Theaters verwirklichen können, kommt es beim Radio nicht. Der Schreibtisch bleibt die Werkstatt der Hörspielautorinnen und -autoren. Der Höhepunkt des schweizerischen Hörspielschaffens dieser Periode besteht im Werk der beiden grossen Autoren, das sich nur dank ausländischer Förderung entwickeln kann und dessen wirkliche, über ihre Zeit hinausweisende Bedeutung hierzulande nicht erkannt wird. In den Schweizer Studios entsteht im Laufe der fünfziger Jahre eine grosse Zahl von Hörspielen mit literarischem Anspruch, die aber den Vergleich weder mit den Arbeiten von Frisch und Dürrenmatt noch mit den herausragenden Werken des literarischen Worthörspiels im Ausland aufnehmen können. Wiederum stellt man gegen Ende der Periode einen Mangel an qualifizierten Autorinnen und Autoren fest, ohne dass man diesmal den ungünstigen politischen Umständen die Schuld zuweisen könnte. Die Krise des literarischen Hörspiels von Radio Beromünster hat ihre Ursache nicht wie behauptet in einem «Versäumnis der Dichter», sie ist hausgemacht. Sie beruht zum einen und zur Hauptsache auf einem zu starren dramaturgischen Konzept, zum andern aber auch auf der mangelnden Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Exponenten des Radios.
Zwischen der zweiten und der dritten Periode liegt der stärkste Einschnitt, der durch mehrere Umstände bedingt ist. Im Hinblick auf die Institution bedeutet das Jahr 1965 nahezu einen Neubeginn nach einer langen Phase der Reorganisation. Diese hat unter anderem zur Folge, dass die Kräfte des Hörspiels in der Abteilung «Dramatik» konzentriert werden und sich nun unter der Leitung von Hans Hausmann voll entfalten können. Von grosser Bedeutung ist die Ablösung der alten Garde von Radio-Allroundern durch eine neue Generation von ausgebildeten Theaterleuten, die aber nach wie vor als Dramaturgen und Regisseure in Personalunion auftreten. Aufbruchstimmung und Euphorie der Zeit um 1968 mögen zum erneuten Aufschwung des Hörspiels beigetragen haben. Entscheidend ist aber, dass die Mitarbeitenden der Abteilung «Dramatik» nun aktiv den Kontakt zu Schriftstellerinnen und Schriftstellern suchen und mit einer offeneren Haltung auf diese zugehen.
Auch die Honorare für Hörspielmanuskripte werden angehoben und stehen zum ersten Mal in einer vertretbaren Relation zu den professionellen Leistungen der Verfasser. So entwickelt sich das Radio in den siebziger Jahren zu einem Einstiegsmedium für junge Autorinnen und Autoren. Aber auch Werke älterer Autoren, die unter den früheren Verhältnissen nicht zum Zug gekommen sind, vor allem von Rudolf Jakob Humm und Walter Matthias Diggelmann, werden nun produziert. Hörspielmacher, die ihre Texte und Konzepte im Hörspielstudio selbst in Szene setzen, sind so selten wie in den früheren Perioden. Aber das Verhältnis zwischen Schreibenden und den Vertretern der Hörspiel-Abteilung hat sich auf Augenhöhe stabilisiert. Die fruchtbare Zusammenarbeit ist eine bleibende Errungenschaft und prägt die Hörspielproduktion bis heute. Die Krise ist diesmal allein durch äussere, politisch-ökonomische Umstände, nämlich durch die medienpolitischen Veränderungen im Gefolge der Zulassung von Privatradios, bedingt und trifft das Hörspiel in dem Moment, da sich zwischen den experimentellen Ansätzen des Neuen Hörspiels und dem traditionellen Worthörspiel eine produktive Verbindung anbahnt. Auf dieser Grundlage wird sich das Hörspiel in den folgenden Jahren bis zu Gegenwart weiter entwickeln. Personell ist für Kontinuität gesorgt, indem ausser Hans Hausmann alle Mitarbeitenden ihre Funktion beibehalten und ihren Stil weiterhin pflegen können.
Organisationsstruktur der Abteilung «Dramatik» (1965-85)
Die «Ära» der Abteilung «Dramatik» von Radio DRS liegt genau in der Mitte der bisher hundertjährigen Geschichte des Deutschschweizer Hörspiels. Für eine «Ära» im Sinne eines historischen Zeitalters ist die Dauer von zwanzig Jahren allerdings etwas kurz, aber in dem Begriff schwingt die konnotative Bedeutung einer in sich abgeschlossenen, «guten Zeit» mit, was für die meisten Beteiligten wichtig war.
1965 erhielt das Deutschschweizer Hörspiel, das im Unterschied etwa zum bundesdeutschen Hörspiel bisher noch keine «Blütezeit» erlebt hatte, durch die Bildung der Abteilung «Dramatik» eine institutionelle Grundlage, die sich äusserst förderlich auf seine Entwicklung auswirkte. Dieser Neubeginn bedeutete aber nicht einen Bruch mit der Tradition des bisherigen Hörspielschaffens. Dessen Haupttendenzen liessen sich trotz einem neuen Konzept weitgehend in den Spielplan integrieren und waren auch personell durch Autoren und Regisseure der mittleren und älteren Generation weiterhin vertreten. Nach fast zwei Jahren des Übergangs und der Vorbereitung trat am 3.1.66 die neue Programmordnung von Radio DRS in Kraft, und mit ihr brach eine neue Epoche des Deutschschweizer Radios an, die sich auch auf die Entwicklung des Hörspiels nachhaltig auswirkte.
«Man kann nicht mehr vom Radio sprechen, ohne ans Fernsehen zu denken. Es gibt sozusagen keine Radioprobleme mehr, die nicht auf irgendeine Weise mit dem Fernsehen verknüpft sind.» So beschrieb Gerd H. Padel, damals Direktor von Radiostudio Zürich, in einem Vortrag die Situation, von der fortan alle programmlichen Erwägungen auszugehen hatten.1 Als Instrument für die Planung forderte er eine wissenschaftlich fundierte, kontinuierliche Erforschung des Verhaltens und der Reaktionen des Publikums, wie sie für das Fernsehen seit der Einführung der Werbung 1965 im Aufbau begriffen war. Bis zur Einführung einer von der Fernseh-Zuschauerforschung unabhängigen Radio-Hörerforschung am 1.4.75 wurden aber vorerst nur im Anschluss an Fernsehbefragungen gelegentlich auch Fragen zum Radioprogramm gestellt.2 Die durch die Transistorisierung erhöhte Mobilität der Empfangsgeräte veränderte seit Beginn der sechziger Jahre zunehmend die Hörgewohnheiten. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die man in Ländern mit bereits abgeschlossener Breitenentwicklung des Fernsehens gemacht hatte, ergaben sich daraus folgende Hypothesen für die Zukunft des Radios:
«Die Besitzer eines Fernsehapparates hören weiter Radio, besonders zu den fernsehfreien Tageszeiten,
1. wenn sie eine Tätigkeit ausüben, die ihnen das Betrachten des Bildschirms nicht erlaubt,
2. wenn sie – sei es im Haus, sei es ausserhalb – in Bewegung oder unterwegs sind,
3. wenn im Radio Sendungen zu hören sind, die ihren speziellen Interessen entsprechen und die das Fernsehen überhaupt nicht oder nicht ausreichend zu berücksichtigen vermag. Dazu gehören vor allem
- die rasche Berichterstattung über aktuelle (vor allem unvorhergesehene) Ereignisse
- das Leben im lokalen Bereich (Gemeinde, Kanton, engere geographische Region);
- Musiksendungen aller Art;
- Sendungen für besondere Interessengruppen.»3
In der letzten Kategorie des dritten Punktes liess sich das Hörspiel immerhin noch komfortabel unterbringen. In den Vordergrund rückte damit aber zweifellos ein leichtes Begleitprogramm, bestehend hauptsächlich aus Nachrichten, Unterhaltungsmusik, Magazinen und Dienstleistungen aller Art: «Das Radio ist Gesellschafterin geworden: es erweist bestimmte Dienste, es informiert, es unterhält, es verbreitet Bildung, Kultur, Lehre – es ist omnipräsent, aber es entbindet den Hörer von der absoluten Konzentration, die das Fernsehen verlangt.»4 Dabei dachte man vor allem an die Beschränkung auf den auditiven Übertragungskanal im Unterschied zur zweikanaligen audiovisuellen Übertragung des Fernsehens. Dass es auch Programmsegmente wie das anspruchsvolle Hörspiel gibt, die sich der intendierten Nebenbeihör-Mentalität entziehen und mitunter «absolute Konzentration» erfordern, wird hier übersehen. Solchen literarischen und experimentellen Produktionen, wie sie im Hörspielprogramm auf DRS-2 angeboten wurden, wandte sich im Laufe der siebziger Jahre ein Teil des Publikums zu, für welches das Fernsehen seinen anfänglichen Reiz zu verlieren begann.
Ab 1983 schien sich im Zuge der Privatradio-Euphorie ein «Radiofrühling» abzuzeichnen, der dem unterhaltenden Hörspiel neue Hörer zuführte und zur Folge hatte, dass auch im neuen Programm von DRS-3 bestimmte Hörspiel-Produktionen platziert werden konnten. Solche wurden zum Teil auch von den Mitarbeitenden des dritten Programms in eigener Regie hergestellt. Ein beachtlicher Anteil an Originalhörspielen stammt aus der Produktion der Abteilung «Folklore», die 1978 zum Ressort «Land und Leute» zurückgestuft wurde. Die Abteilung «Unterhaltung» steuerte vor allem 1972 eine 13-teilige Reihe von recht unkonventionellen Hörspielen bei. Zweifellos den bedeutendsten Anteil an der Fortentwicklung des Originalhörspiels bei Radio DRS hatte aber die neue Abteilung «Dramatik», die, nach einer Vorbereitungsphase von drei Monaten, am 1.1.66 ihren Betrieb aufnahm und genau zwanzig Jahre, bis zum 31.12.85, bestand. Deren Leiter wurde der damals 42-jährige Hans Hausmann, der schon seit mehr als fünfzehn Jahren in verschiedenen Funktionen für Radio Beromünster arbeitete und als Regisseur und Mitautor zahlreicher unterhaltender Hörspielproduktionen hervorgetreten war. Den Auftrag und die Organisationsstruktur der neuen Abteilung umriss Hausmann folgendermassen:
«Die Abteilung „Dramatik“ RDRS produziert und programmiert Hörspiele, Hörfolgen, Experimente auf ihrem Gebiet sowie die wöchentlichen Sendungen „Entr’acte“ und „Theater heute“. Sie umfasst das gesamte Gebiet der deutschsprachigen Schweiz mit Produktionsstudios in Basel, Bern und Zürich. Sitz der Abteilungsleitung ist Basel.»5
Obwohl man für den Bereich des Hörspiels vom Vorortsprinzip bisher abgesehen hatte, bedeutete dessen Einführung keine grundsätzliche organisatorische Neuerung, da sich die Koordination unter den bisherigen drei Studios in Basel, Bern und Zürich bereits seit Jahren gut eingespielt hatte. Diese galt es nur noch zu intensivieren. Eine Zentralisierung von Lektorat und Dramaturgie kam für Hausmann nicht in Frage, da er dem persönlichen Gespräch zwischen Vertretern des Radios und Schreibenden erste Priorität einräumte und auf den seit Langem bestehenden Kontakten der Mitarbeitenden zu Autoren, Verlagen und Kollegen bei ausländischen Sendern aufbauen wollte.6 Zugleich konnten so – über die normale Produktion hinaus – auch Spezialgebiete der einzelnen Studios, welche sich im Laufe der Jahre herausgebildet hatten, erhalten und weiter ausgebaut werden: Basel widmete sich besonders der Übertragung und Adaption von Hörspielen aus dem angelsächsischen Raum sowie der Förderung experimenteller Produktionen und anspruchsvoller Dialekthörspiele. Bern konzentrierte sich weiterhin auf die Adaption von Klassikern vornehmlich der deutschen und französischen Literatur. Und das Zürcher Studio sah seinen Schwerpunkt in der Zusammenarbeit mit Schweizer Autorinnen und Autoren, da viele von ihnen in seinem Einzugsgebiet wohnten.7 Das zentralistische Moment in dieser weitgehend föderalistischen Struktur bestand in der monatlichen Abteilungssitzung, welche vornehmlich der Integration der einzelnen Projekte in den Gesamt-Spielplan dienten. Gesamthaft gesehen überwog – in bewusster Analogie zum Organisationsprinzip von Radio DRS und zu den politischen Gegebenheiten in der Schweiz – die pluralistische Grundtendenz in der Organisationsstruktur der Abteilung.
Einen Neubeginn bedeutete die Bildung der Abteilung «Dramatik» zunächst in personeller Hinsicht. Bis zur Mitte der sechziger Jahre wurden sukzessive die Vertreter der ersten Generation von Regisseuren, welche als echte Universalisten für das ganze Spektrum von Wortsendungen zuständig gewesen waren, durch jüngere, spezialisierte Kollegen abgelöst. In allen drei Studios hatten sich seit Beginn der fünfziger Jahre neue Mitarbeiter zu etablieren begonnen, welche mehrheitlich von der Berufsbühne herkamen und damit einer Professionalisierung der Hörspielproduktion Vorschub leisteten. Diese jüngere Generation war auch nach 1965 für das Hörspiel tätig und garantierte die Kontinuität der Produktion. Neben Hans Hausmann waren es in Basel vor allem Helli Stehle, Willy Buser, James Meyer und – seit Anfang der sechziger Jahre – Joseph Scheidegger. In Bern waren 1955 Alfons Hoffmann und sechs Jahre danach sein Sohn Amido Hoffmann für die Hörspielabteilung verpflichtet worden, wo seit 1949 schon Felix Klee, der Sohn des Malers Paul Klee, als «Allrounder» wirkte. Robert Egger und Hans Rudolf Hubler oblag in den fünfziger und sechziger Jahren die Produktion von Berner Dialekthörspielen und -hörfolgen. In Zürich führten während dieser Zeit Walter Wefel und Robert Bichler Regie in zahlreichen Hörspielproduktionen.
Mit Hans Hausmann wurde 1965 ein versierter Radiomann zum Leiter der Abteilung «Dramatik» ernannt, der sich seit 1949 auf verschiedenen Gebieten betätigt und sich als Leiter der seit jeher als schwierig geltenden Abteilung «Unterhaltung» einen Namen gemacht hatte. Durch diese Besetzung war die Integration des äusserst populären unterhaltenden Hörspiels in eine Abteilung gewährleistet, die von Haus aus eher der Adaption von Theaterklassikern und dem literarisch anspruchsvolleren Originalhörspiel verpflichtet war. 1965 wurde Urs Helmensdorfer, der nach Abschluss seines Studiums in Zürich erste Theatererfahrungen in Konstanz und Esslingen gesammelt hatte und seit 1963 bei der Hörspielabteilung von Radio Bern arbeitete, zum Berner Dienstchef der Abteilung «Dramatik» ernannt. Die Nachfolge des bisherigen Abteilungsleiters Albert Rösler trat 1966 der bereits seit einiger Zeit als Reporter, Radio- und Fernsehsprecher, Hörspielautor und -dramaturg tätige Hans Jedlitschka an, der zum Zürcher Dienstchef der Abteilung «Dramatik» ernannt wurde. 1967 trat Martin Bopp, 24-jährig, kurz nach Abschluss seiner Schauspielerausbildung, in den Dienst von Radio Basel. Bald schon übernahm er die Redaktion der Theater-Informationssendung «Entr’acte» und führte Regie bei Hörspielproduktionen. 1970 wurden Mario Hindermann und Walter Baumgartner als Mitarbeiter der Dienststelle Zürich engagiert. Hindermann war während der ganzen Ära Hirschfeld als Dramaturg am Zürcher Schauspielhaus und danach während drei Jahren beim Luchterhand-Verlag als Lektor tätig gewesen. Baumgartner hatte zehn Jahre als Regieassistent beim Berliner Fernsehen und während der Ära Löffler als Dramaturg am Zürcher Schauspielhaus gewirkt.
1973 wurden für Studio Bern Charles Benoit, für Studio Basel Stephan Heilmann als Regisseure verpflichtet. Beide waren unter Dreissig, konnten also die Interessen eines jüngeren Publikums wahrnehmen. 1979 wurde der Oberwalliser Franziskus Abgottspon, der schon seit Anfang der siebziger Jahre Erfahrungen als Hörspieler gesammelt hatte, als Mitarbeiter der Zürcher Dienststelle verpflichtet. Während der Zeit von 1965 bis 1985 führten ferner folgende fest angestellte oder freie Mitarbeiter bei der Abteilung «Dramatik» Regie in Originalhörspiel-Produktionen von Deutschschweizer Autorinnen und Autoren: Inigo Gallo (ZH), Bruno Felix (ZH), Guido Wiederkehr (BS), Andreas Fischer (ZH), Klaus W. Leonhard (BE), Christian Jauslin (BS), Markus Kägi (ZH), Nicolas Ryhiner (BS), Matthias von Spallart (BS), Katja Früh (BS), Claude Pierre Salmony (BS), Pierre Kocher (BE), Ruedi Straub (ZH), Barbara Liebster (BS) und Rainer Zur Linde (BE).
Drei Punkte nannte Hausmann als konstitutive Elemente seines Abteilungskonzeptes:
- «die künstlerische und gattungsbedingte Abgrenzung zwischen Hör- und Fernsehspiel»,
- «die Internationalisierung des Hörspielangebotes (mit vermehrten Sendungen in der Originalsprache) über den deutschsprachigen Raum hinaus» und
- «die intensive Pflege und Schulung potentieller Schweizer Hörspielautoren, unter besonderer Berücksichtigung des Dialektes.»8
Der erste Punkt trägt, wie vom damaligen Zürcher Studiodirektor gefordert, der Konkurrenz bzw. Koexistenz von Radio und Fernsehen Rechnung, allerdings mit leicht anderem Akzent. Hausmann sah darin eine Entlastung, ja einen «Segen» für das Hörspielprogramm, da sich nun auch das Fernsehen der Adaption epischer und dramatischer Texte annahm, so dass man bei der Auswahl der Vorlagen stärker als bis anhin deren besondere Eignung für das akustische Medium berücksichtigen konnte. Das Bemühen um Abgrenzung gegenüber dem Fernsehspiel trat im Laufe der siebziger Jahre in den Hintergrund, als dieses mehr und mehr durch den Kinofilm aus dem Programm verdrängt wurde.
Unter dem Begriff «Hörspiel vor dem Hörspiel» subsumierte Urs Helmensdorfer, darin an die von Ernst Bringolf begründete Tradition des Berner Studios anknüpfend, solche «Werke der Dramatik im weitesten Sinne, die nur Wort, Klang, Geräusch, Stille zur Entfaltung brauchen, bei denen das Optische entbehrlich, überflüssig oder gar störend ist» und die es schon vor der Erfindung des Radios seit jeher gab.9 Die Beschränkung auf für die Radiobearbeitung geeignete Vorlagen hatte zum andern eine Aufwertung des Originalhörspiels zur Folge, welches, nach Ansicht von Elsbeth Pulver, dank seiner schier unbegrenzten Möglichkeiten «der etwas zwiespältigen Einstellung des deutschschweizerischen Autors zum Drama» entgegenkommt, während das Fernsehspiel «als ein „hartes“ Medium» eher den Mangel an dramatischem Talent offenbar macht.»10
Im zweiten und dritten Punkt des Abteilungskonzeptes wird ein weiter inhaltlicher Rahmen für den Spielplan ausgesteckt. Hausmann dachte dabei ebenso an die Übersetzung etwa von Hörspielen polnischer, tschechischer und jugoslawischer Autoren, die schon vor 1965 ein beachtliches Niveau erreicht hatten, wie an die Übernahme und Adaption von englischen Produktionen, welche seit Mitte der fünfziger Jahre von Autoren im Gefolge von John Osborne und der angry young men in grosser Zahl vorgelegt wurden und dank enger Beziehungen zum drama department der BBC und dessen Leiter, Martin Esslin, leicht erhältlich waren. Einer Darstellung, welche das schweizerische Hörspielschaffen als Bestandteil des gesamten Programms unter den Titel «Die Stimme der Heimat» skizziert, stellte Hausmann als Emphase die folgende generelle Bestimmung entgegen: «Das Schweizer Hörspiel ist in allererster Linie – für mich – eine Öffnung nach aussen, so weit es geht».11
Im Gegenzug zu dieser internationalen Ausrichtung sollte die intensive Arbeit am «Aufbau eines nationalen Autoren-Potentials» einsetzen, wie der Abteilungsleiter sich in Anlehnung an den etwas martialischen SRG-Führungsjargon ausdrückte. «Zum Teil war es verschüttet, zum Teil war es noch gar nicht vorhanden. Frisch und Dürrenmatt hatten aus einsehbaren Gründen aufgehört, für das Medium Radio zu schreiben; bewährte Hörspielautoren waren einem überholten Traditionalismus verhaftet; die junge Generation von Schweizer Schriftstellern hörte nicht mehr Radio und war sich der beinahe unbegrenzten, kreativen Möglichkeiten des Mediums überhaupt nicht bewusst.»12 Schon während der Vorbereitungsphase machte Hausmann klar, dass alles unternommen werden müsse, um möglichst viele Schweizer Autoren für die Hörspielarbeit zu interessieren, und dass man dazu auch finanzielle Risiken nicht scheuen dürfe. Sein Versprechen, man werde «jeden Schweizer Autor, der Sinn und Begabung für die Hörspieldramatik zeigt, wie eine „seltene Pflanze“ pflegen»13, dürfte jedenfalls den Angesprochenen ganz ungewohnt im Ohr geklungen haben.
Dass beide Tendenzen, Öffnung nach aussen und Förderung der eigenen Kräfte, sich nicht ausschliessen, sondern gegenseitig bedingen, wird aus einer Rede zum Thema «Überfremdung» evident, die Max Frisch 1966 vor einer Versammlung kantonaler Fremdenpolizeichefs hielt. In der schweizerischen Hörspielproduktion scheint sich zur gleichen Zeit eine Abkehr von der in den fünfziger Jahren wiederholt artikulierten Überfremdungsangst und von der im Kalten Krieg und in der Geistigen Landesverteidigung verwurzelten «Verteidigungsmentalität» abzuzeichnen, welche die Schweiz und ihre Institutionen – so Frisch – «als etwas Grossartig-Gewordenes, nicht als etwas Werdendes» begreift.14 Was die Produktion der Abteilung «Dramatik» anbelangt, darf diese Aussage – ausnahmsweise – umgekehrt werden. Erste entschlossene Bemühungen um eine Öffnung gegenüber dem avantgardistischen Hörspielschaffen des Auslandes waren seit 1962 im «Montagsstudio» unternommen worden. Dass man sich nun erstmals, angeregt durch das englische Vorbild, eine planmässige Förderung einheimischer Autorinnen und Autoren vornahm, ist bemerkenswert. Dass ein solch aufwendiges Vorhaben ausgerechnet in einer für das Radio finanziell schwierigen Phase angegangen und – wie noch zu zeigen sein wird – mit beachtlichem Erfolg realisiert wurde, setzt die Produktion der Abteilung «Dramatik» in Kontrast zu den vorangegangenen Perioden. Das Bestreben, die Ursachen des jahrzehntelangen Malaises durch Veränderung der Produktionsbedingungen zu beheben, ist grundlegend für den Erfolg der Abteilung «Dramatik». Ungeachtet der beinahe fünfzigjährigen Entwicklung wagte deshalb Elsbeth Pulver 1974 die These, «dass die Geschichte des deutschschweizerischen Hörspiels noch in den Anfängen steckt und einiges erwarten lässt.»15
The beginning, the middle and the end
Der Produktion der Abteilung «Dramatik» kam aus der Sicht der Verantwortlichen für das Radioprogramm keineswegs nur marginale Bedeutung im Kontext eines leichten Programms zu. Vielmehr wurde durch die angestrebte Konzentration und Qualitätssteigerung ihre Funktion als Alternative verstärkt. Hausmann verwies auf ausländische Stimmen, die Mitte der siebziger Jahre «dem Hörspiel eindeutig eine Ausnahmestellung im Programm und damit eine Schwerpunktfunktion» zusprachen oder dieses, so Martin Esslin, gar als «Nationaltheater im Äther» bezeichneten.16 Ökonomische Einwände gegen das Hörspiel versuchte Hausmann mit dem seit Beginn der siebziger Jahr gängigen Argumentationsmuster zu entkräften, dass mit einer einzigen Hörspielsendung ein fast ebenso grosses Publikum erreicht werden könne wie mit fünfzig ausverkauften Vorstellungen in einem schweizerischen Stadttheater, wenn diese nur von einem Prozent der Hörer empfangen werde, was 1983 etwa 35’000 Personen entsprach. Mit solchen Rechenkünsten, die von der Presse aufgenommen wurden, versuchte er den starken Rückgang der Einschaltquoten seit den fünfziger Jahren in seiner Bedeutung zu relativieren. Um das verbliebene, durch die Konkurrenz des Fernsehens geschrumpfte, aber treue Hörspielpublikum zu behalten, durfte man sich keinesfalls auf experimentelle Produktionen beschränken, sondern musste alle Formen pflegen und für ein möglichst breites Hörerspektrum produzieren, was auch der konzessionellen Verpflichtung entspricht. Hausmann forderte als oberstes Prinzip für die Spielplangestaltung «grösstmögliche Vielfalt», Abwechslung und Attraktivität des Angebots17, was sich auf längere Frist als wirksame Strategie erwies, um einen weiteren massiven Hörerschwund zu verhindern. Um solche Vielfalt zur Geltung zu bringen, mussten genügend Sendetermine zur Verfügung gestellt werden. In Anbetracht der Breite des Angebots liessen sich, viel leichter als im Fernsehen, gelegentlich auch brisante Themen vertreten.
Nach seiner Sicht der Entwicklung der Abteilung «Dramatik» in den zwanzig Jahren ihres Bestehens gefragt, unterschied Hausmann drei Phasen, die dem von ihm bevorzugten klassischen dramatischen Aufbau entsprechen: the beginning, the middle and the end. Die Zeit von 1965 bis 1970 kann als Aufbauphase gesehen werden, die Hausmann als «Gelegenheit, von Null anzufangen», erschien. Neu waren tatsächlich die intensiven Bemühungen um die einheimischen Autorinnen und Autoren und – als Gegengewicht dazu – die Öffnung gegenüber dem internationalen Hörspielgeschehen. Neu war vor allem auch das Bestreben, durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit ein Stammpublikum heranzuziehen und dieses an das Medium zu binden. Dass dieser Entwurf verwirklicht werden konnte, ist offenbar zu einem guten Teil der von Anfang an harmonischen Zusammenarbeit zwischen dem Abteilungsleiter und seinen leitenden Mitarbeitern in Zürich und Bern zu verdanken, die trotz des gemeinsamen Basiskonzeptes genügend Spielraum für Eigeninitiative und für die Pflege ihrer besonderen Interessengebiete hatten.
Die siebziger Jahre, eingeleitet durch eine Reihe von Autoren-Seminaren und eine Weiterbildungstagung der UER für Hörspielleiter, bezeichnete Hausmann generell als «gute Zeit». Erste Früchte der Anstrengungen boten mehrfach Anlass zu Rück- und Ausblicken, die vorwiegend zuversichtlich ausfielen. Ein wenig mag dabei auch die Erleichterung mitgespielt haben, dass die in den sechziger Jahren befürchteten katastrophalen Folgen der Fernsehkonkurrenz für das Radio weitgehend ausgeblieben waren. Im Sommer 1971 wurde den Hörerinnen und Hörern mit einer Reihe von 22 Wiederholungen aus den letzten sechs Jahren, die Hälfte davon Originalhörspiele von Deutschschweizer Autoren, Gelegenheit geboten, sich ein Bild vom Stand des Schweizer Hörspiels zu machen. Wiederholungen von Produktionen der Abteilung «Dramatik» standen, nebst älteren Repertoire-Hörspielen, auch anlässlich des Jubiläums «50 Jahre Radio» 1974 auf dem Spielplan. Hans Hausmanns «vorläufige Bilanz» schloss 1971 mit der befriedigten Feststellung, dass es gelungen sei, «eine ansehnliche Gruppe neuer, junger Schweizer Hörspielautoren heranzubilden.»18
«Hat das Hörspiel ausgedient?» fragte 1972 der NZZ-Kritiker Martin Schlappner zu Beginn eines zweiteiligen Artikels19, in welchem er zu einer umfassenden Analyse der Situation des Schweizer Hörspiels in seinem Verhältnis zum Fernsehspiel einerseits, zur Situation in Deutschland andererseits ausholte. In beiderlei Hinsicht fiel die Diagnose günstig aus. Angesichts des als «erbärmlich» taxierten Angebots an Schweizer Fernsehspielen, das bereits die Rückkehr eines Teils der Fernsehpublikums zum Radio zur Folge habe, riet Schlappner, dem Beispiel der BBC zu folgen und am Hörspiel festzuhalten. Er war es, der zuerst auf die Relativität der scheinbar niedrigen Einschaltquoten verwies und zu bedenken gab, dass zehn Prozent der Hörer, was nach seiner Berechnung einer Zahl von 150’000 entsprach20, immer noch ein grösseres Publikum bedeuteten, als alle Theater des Landes für alle Inszenierungen eines Stückes einschliesslich der Wiederholungen in Anspruch nehmen könnten. Im Unterschied zur BRD, wo Experimente im Gefolge des Neuen Hörspiels «gleichsam selbsttätig, jedenfalls konsequent zur relativen Aufhebung des Hörspiels», d.h. zu Reduktionen bis zu einem Drittel des Programmanteils, geführt hätten, sei die Situation «in der konservativeren Schweiz» dank Zurückhaltung gegenüber Experimenten und Pflege des konventionellen Hörspiels ermutigend.
Peter A. Kaufmann wies 1976 in einer ausführlichen Studie darauf hin, dass vor 1965 die als «Strassenfeger» bekannten, erfolgreichen Hörspiele «gar nicht aus der Küche der Abteilung „Dramatik“ kamen, sondern beispielsweise in der Unterhaltung oder Folklore ausgekocht wurden.»21 Im Programm der Abteilung «Dramatik» sah er «neue Ansätze», die trotz rückläufiger Hörerzahlen die Hoffnung zuliessen, dass «der unaufhaltsame Abstieg der Gattung Hörspiel doch noch aufgehalten» werden könne. Als zusätzliche Massnahmen empfahl er, mit Produktionen der Abteilung «Dramatik» vermehrt auch «in andern Abteilungsgärtlein» Fuss zu fassen und die Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren. Fünf Jahre nachdem das «Hörspielstudio» des WDR Köln erste Kurzhörspiel-Experimente vorgestellt und zur Verwendung in Sendegefässen ausserhalb des Hörspielprogramms angeboten hatte, regte Kaufmann zu solchen Versuchen bei Radio DRS an. Vier weitere Jahre vergingen, bis erste Schritte in diese Richtung unternommen wurden.22
Der Optimismus zu Anfang der siebziger Jahre schlug sich auch in einzelnen wissenschaftlichen Arbeiten nieder. Die Frage, ob «das Hörspiel im Zeitalter des Fernsehens noch Bedeutung» habe, liegt der Lizentiatsarbeit von Cécile von Tscharner-Speitel zum Thema «Hörspiele beim deutschschweizerischen Radio» zugrunde, welche der «Zeit seit dem Bestehen der Abteilung „Dramatik“ von 1965 an» besondere Beachtung schenkt.23 Elsbeth Pulver würdigte die neuere Hörspielproduktion im Rahmen ihrer Darstellung der «deutschsprachigen Literatur der Schweiz seit 1945» eingehend. Anfangs der achtziger Jahre gab Christoph Egger den Anstoss zu weiterer prinzipieller Erörterung, indem er in einem zweiteiligen Artikel «Zur Situation des Hörspiels von Radio DRS» die Arbeit der Abteilung «Dramatik» einer sorgfältigen, auch die ökonomischen Bedingungen reflektierenden Analyse unterzog.24 Sowohl das konventionelle Hörspielverständnis, das den erfolgreichen Gotthelf-Zyklen zugrunde lag, wie auch die Eskapaden des Neuen Hörspiels hielt er für «völlig überholt. Die zweite Hälfte der siebziger Jahre erweist sich rückblickend als eine Zeit der Konsolidierung, die allerdings zu weit mehr als einem blossen, beziehungslosen Nebeneinander von traditionellen und avantgardistischen Formen geführt hat. Eingesetzt hat vielmehr ein Prozess der Differenzierung auf allen Ebenen», wobei als besonderes Verdienst der Abteilung «Dramatik» die verstärkte Einbeziehung der Zuhörenden seit Beginn der achtziger Jahre den Beifall des Kritikers fand. Erwähnt werden in diesem Zusammenhang Hörspiel-Apéro, «Werkstatt»-Gespräche und Kurzhörspiele, an deren Ausstrahlung sich die Aufforderung an die Hörerinnen und Hörer anschloss, sich selbst als Autoren solcher Spiele zu versuchen. Realistischer als in den siebziger Jahren tönte 1982 das «Fazit», welches im Hörspiel ein «Randgebiet […], produziert für eine Minderheit», und als Ziel nicht Expansion, sondern die Gewähr sah, «dass das Erreichte, die bestehenden Freiräume im künstlerischen Arbeiten, auch erhalten bleibe.»
Ebendiese Freiräume erschienen kurz darauf mit Bekanntwerden des Strukturplans für 1984 als gefährdet. Durch die anhaltenden finanziellen Schwierigkeiten des Radios und die Forderung nach einem leichteren dritten Programm war ein starker Druck auf das Hörspielprogramm entstanden, so dass Hans Hausmann befürchtete, «dass im neuen Strukturplan der unternehmerische Gesichtspunkt der Einschaltquoten Vorrang vor dem kulturellen Auftrag des Radios erhält.»25 Die Ungewissheit im Hinblick auf die Zukunft des Hörspiels bei Radio DRS blieb trotz aller Beschwichtigungen von höherer Warte während langer Zeit bestehen. An ehrlich gemeinten Bekenntnissen zum Hörspiel fehlte es nicht. Doch sie haben es, wie Urs Helmensdorfer im letzten Jahr des Bestehens der Abteilung «Dramatik» lakonisch feststellte, «bisher nicht einmal geschafft, die Teuerung auszugleichen.»26 Hans Hausmann stimmte 1988, nach einiger Überlegung, einer These, der zufolge «das Hörspiel durch das Radio» bedroht ist, zu und präzisierte, «dass das Hörspiel zwar nicht bestritten ist, aber dass es auch nicht eine sichtbare Rückendeckung erhält».27
In den recht zahlreichen Presseartikeln war in der ersten Hälfte der achtziger Jahre noch von einer «Renaissance» und vom «Vormarsch» des Hörspiels die Rede28, doch meldeten sich in Überschriften wie «Hörspiele im Abseits?» und «Es (über)lebe das Hörspiel!» auch schon Zweifel.29 Auch von dieser Seite wurde darauf hingewiesen, dass durch das Einfrieren der Budgets die für das Hörspiel zur Verfügung stehenden Mittel schon seit 1980 jährlich real um das Ausmass der Teuerung schrumpften.30 Gesamthaft gesehen manifestierte sich in der ersten Hälfte der achtziger Jahre ein reges Interesse der Presse an der Produktion der Abteilung «Dramatik». Die meisten Kritikerinnen und Kritiker stellten ein nach wie vor starkes, ja sogar wachsendes Bedürfnis einer Minderheit von Zuhörenden nach Hörspielen fest, meldeten aber ihre Bedenken hinsichtlich der Überlebensfähigkeit der Gattung angesichts der aktuellen Entwicklungstendenzen in den elektronischen Medien an.
Im Verlauf der siebziger Jahre nahm die Zahl der als «Hörfolgen» bezeichneten Produktionen stetig ab. Entsprechende Sendungen mit dokumentarischem Gehalt, aber auch Originalton-Collagen, die im Ausland als Sonderform des neuen Hörspiels galten, wurden in den achtziger Jahren als «Features» bezeichnet und in den Produktionsauftrag der Abteilung «Dramatik» integriert, sie sich ab Mai 1979 Abteilung «Dramatik und Feature» nannte. Diese wurde 1986 im Zuge der seit zwei Jahren laufenden Reorganisation zum Ressort «Hörspiel» zurückgestuft, das fortan der Abteilung «Wort» unterstellt war. Daneben gab es nur noch zwei weitere Abteilungen, nämlich «Musik» und «Information». Hans Hausmann ging angesichts dieser Entwicklung vorzeitig in Pension, ohne sich allerdings ganz von seiner Tätigkeit als Regisseur zurückzuziehen. Sein bowler hat hing noch während Jahren am Garderobeständer des Basler Hörspielstudios. Die Verantwortung für die Produktion des Ressorts übernahm Martin Bopp. Für die Leitung der Berner Dienststelle war wie bisher Urs Helmensdorfer, für jene in Zürich Franziskus Abgottspon zuständig. Für das Feature wurde eine eigene Fachredaktion geschaffen, deren Leiter, Walter Baumgartner, das Schaffen von Mitarbeitenden verschiedener Ressorts und Abteilungen koordinierte.
Autorinnen und Autoren
Obwohl die beiden Grossen der Schweizer Literatur, Frisch und Dürrenmatt, in den sechziger Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Produktivität standen, leisteten sie nur einen unbedeutenden Beitrag zum Programm der Abteilung «Dramatik». Frischs Erstling «Herr Biedermann und die Brandstifter» war 1953 zwar von der Zürcher Hörspielabteilung produziert worden, jedoch nur an zweiter Stelle, nachdem das vom Schweizer Radio in Auftrag gegebene Hörspiel durch den Bayerischen Rundfunk urgesendet worden war. Hans Hausmann, der als Leiter der Abteilung «Dramatik» in einer Aussprache Jahre später noch einmal versuchte, Frisch zum Schreiben eines Hörspieltextes zu bewegen, erhielt eine Absage, die der Autor damit begründete, er brauche «Figuren», «Gesichter auf der Bühne».31 Im Unterschied zum Einwegmedium Radio verlockte Frisch am Theater «die unverborgene, sichtbare, öffentliche Konfrontation eines Werkes mit seiner Zeitgenossenschaft».32 Friedrich Dürrenmatts Hörspiel-Erstling «Der Doppelgänger» (Ursendung: NDR/BR, 1960), in dem er die Produktion eines Hörspiels – in durchaus konstruktiver Weise – kritisch beleuchtete, wurde 1946 von den Programm-Gewaltigen von Radio Beromünster rundweg abgelehnt. Dabei handelt es sich um ein frühes Werk, in dem wichtige Themen des Autors konvergieren. 1975 wurde es von der Abteilung «Hörspiel» neu inszeniert. Die Ursendung aller weiteren Hörspiele von Dürrenmatt blieb in den fünfziger Jahren deutschen Sendern überlassen. Immerhin gelang es Hans Hausmann 1968, den Autor für eine leicht aktualisierte Neu-Inszenierung seines dystopischen Science-fiction-Hörspiels «Das Unternehmen der Wega» (Ursendung: BR/SDR/NDR, 1955) zu gewinnen. Dürrenmatts düstere Vision einer totalitären Zuspitzung des Kalten Krieges war nun mit dem Konzept der neuen Abteilung vereinbar und willkommen als highlight des Programms.
Den umgekehrten Verlauf nahm die Beziehung zu zwei anderen renommierten Autoren, Rudolf Jakob Humm und Walter Matthias Diggelmann. Differenzen in Honorarfragen führten 1945 dazu, dass Humm dem Schweizer Radio für Jahrzehnte den Rücken kehrte. In einem unerfreulichen Briefwechsel mit dem Direktor von Studio Zürich konnte der Autor seine Forderung zwar durchsetzen.33 Aber der immaterielle Schaden für beide Seiten stand in keinem Verhältnis zur Streitsumme von hundert Franken. Sein erstes Originalhörspiel «Der Prophet vor Ninive», das er Radio Beromünster acht Jahre später anbot, wurde zurückgewiesen. Der Südwestfunk produzierte es nach einigen Änderungen 1954. Fast zwanzig Jahre später wurde es von Radio DRS erneut inszeniert, nachdem der damals 77-jährige Humm von Walter Baumgartner für das Radio «entdeckt» und dem Schweizer Publikum mit seinem zweiten Originalhörspiel «Robespierre spielt Gott» (1972) mit gebührendem Respekt vorgestellt worden war. Von da an bereicherte Humm das Programm bis zu seinem Tod 1977 alljährlich mit einer neuen Produktion.
Das Bestreben, die Erwartungen des breiten Publikums nicht zu enttäuschen, führte in den fünfziger Jahren sogar dazu, dass die Verfasser formal interessanter, aber inhaltlich problematischer Manuskripte von Schweizer Studios an ausländische Sender verwiesen wurden. Dies passierte Walter Matthias Diggelmann, als er Radio Basel seinen Hörspiel-Erstling zur Prüfung vorlegte. Der Text wurde abgelehnt, da er offenbar allzu deutlich auf das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Zirkus «Pilatus» und dem Zirkus «Knie» anspielte. Er zeigte, wie es in dem vom Autor zitierten Gutachten heisst, «die Zirkuswelt einmal nicht nur von der schwärmerischen, sondern vor allem von der hundsgemein geschäftlichen Seite her. Dadurch aber setzt sich sein Hörspiel in krassen Gegensatz zum schweizerischen Zirkuswesen und allem, was sich unsere Hörer von einem Zirkusstück erwarten dürfen». Der Lektor hielt die Arbeit deshalb bei «aller Anerkennung der dramaturgischen Equilibristik […] zwar für deutsche, nicht aber für schweizerische Sender geeignet».34 Diggelmann wandte sich vorerst enttäuscht vom Hörspiel ab und verdiente seinen Lebensunterhalt bei Radio Zürich mit Hörfolgen, Plaudereien, «Bunten Abenden» und Radioeinrichtungen verschiedener Werke, zuletzt auch als dramaturgischer Mitarbeiter, bis er 1958 wegen Differenzen mit der Direktion entlassen wurde und sich unter anderem der Radiokritik zuwandte. Sein Hörspiel «Sandra» wurde 1964 vom Südwestfunk produziert. Erst 1970 wurde Diggelmann als Hörspielautor wiederentdeckt, was vom Mut der Programmverantwortlichen von Studio Zürich zeugt, hatte sich doch die öffentliche Meinung seit der Publikation des Romans «Die Hinterlassenschaft» entschieden gegen den streitbaren Autor gewendet. Darin offenbart sich auch besonders deutlich das neue dramaturgische Konzept, das keine Rücksicht mehr auf inhaltliche Empfindlichkeiten nahm und den Entscheid für eine Produktion allein von der literarischen Qualität abhängig machte. Von da an war auch von Diggelmann fast alljährlich bis zu seinem Tod eine Produktion im Programm von Radio DRS zu hören.
Adolf Muschg hat sein grundsätzliches Interesse am Radio als literarischem Medium schon vor der Bildung der Abteilung «Dramatik» gezeigt, indem er mit seinem eigenwilligen Hörspiel «Wüthrich im Studio» (1962) sein literarisches Debüt gab35, drei Jahre bevor sein erster Roman erschien. Sein zweites Hörspiel «Das Kerbelgericht» (WDR, 1969 / DRS, 1969) wurde fast zeitgleich in der BRD und in der Schweiz produziert und erhielt den «Prix Suisse» für das Jahr 1969. Es hat die Auseinandersetzung mit den Zürcher Unruhen von 1968 zum Thema, die der Autor während seines Aufenthalts in den USA aus der Ferne mitverfolgt hatte.36 Damit war es dem Abteilungsleiter gelungen, einen bedeutenden Schweizer Autor am Beginn seiner literarischen Karriere für das Radio zu gewinnen. Zehn Jahre später war Muschg bereits so bekannt, dass es besonderer Anstrengungen bedurfte, um ihn weiterhin bei der Stange zu halten: «Why, Arizona» (WDR/DRS, 1977) entstand als erster Auftrag der internationalen «Play Commissioning Group» an einen deutschsprachigen Autor. Zu dieser informellen Vereinigung hatten sich die Hörspielabteilungen von neun europäischen und amerikanischen Sendern, unter anderem von Radio DRS, des WDR und der BBC, zusammengefunden, um bekannte Autorinnen und Autoren durch angemessene Honorare für Hörspielproduktionen gewinnen zu können.37 Im Falle von Muschgs «Why, Arizona» führte dieser Vorstoss zur Wiederaufnahme seiner Radioarbeit, die er danach mit einer Bearbeitung von «Watussi oder ein Stück für zwei Botschafter» (1978) und mit einem weiteren Auftragshörspiel, «Goddy Haemels Abenteuerreise» (1981), fortsetzte. Seither wurde – zumindest in der Schweiz – kein weiteres Originalhörspiel mehr von ihm produziert.
Die meisten Autorinnen und Autoren, die ihre literarische Laufbahn während der Abteilungsperiode begannen, schrieben ihre Hörspiel-Erstlinge – teils im Auftrag – für die Abteilungen «Folklore» und «Dramatik». Oft folgten auf das Debut über die Jahre drei bis vier weitere Hörspiele. Die bekanntesten sind (in chronologischer Reihenfolge mit Jahresangabe der Erstlingsproduktion) Christoph Geiser (1964), Manfred Schwarz (1965), Werner Schmidli (1966), Jörg Steiner (1967), Walter Vogt (1969), Erica Pedretti (1970), Rolf Geissbühler (1971), Thomas Hostettler (1971), Hansjörg Schneider (1971), Peter Bichsel (1972), Ernst Eggimann (1972), Franz Hohler (1972), Gerhard Meier (1972), E.Y. Meyer (1972), Silja Walter (1972), Herbert Meier (1974), Silvio Blatter (1975), Walther Kauer (1975), Hugo Loetscher (1975), Lukas Hartmann (1976), Klaus Merz (1977), Emil Zopfi (1978), Jürg Amann (1980), Hansjörg Schertenleib (1982), Hans Peter Gansner (1983), Franz Böni (1985) und Lukas B. Suter (1985). Die Aufzählung zeigt: Hier ist fast alles versammelt, was in der Schweiz literarisch Rang und Namen hat. Hausmanns Vorsatz von 1965, die Schreibenden direkt anzusprechen und für das Hörspiel zu gewinnen, war ein Erfolg.
Wichtige Vertreter des Neuen Hörspiels in Deutschland waren Urs Widmer und Paul Pörtner, die ihre Produktionen beide als Hörspielmacher bei deutschen Sendern selbst inszenierten. Widmers Erstling «Wer nicht sehen will, muss hören» wurde ein Jahr nach dessen Ursendung durch den WDR 1970 auch in Zürich produziert. Von seinen mehr als zwei Dutzend Hörspielen wurden nur wenige von Radio DRS/SRF hergestellt. Pörtner erhielt durch seine Bekanntschaft und in Zusammenarbeit mit dem Basler Jazzmusiker George Gruntz 1974 Gelegenheit, für Radio DRS das experimentelle Hörwerk «Zwei mal zwei mal zwei oder Ludi Basilienses» zu schaffen. Eine Sonderstellung nimmt Gertrud Wilkers einziges Hörspiel «Variationen über ein bekanntes Thema in der Originaltonart» ein, das 1978 vom Süddeutschen Rundfunk mit Schweizer Sprechern und einem Schweizer Schlagzeuger im Studio Zürich produziert, aber zwei Jahre später erst von der Abteilung «Dramatik» zur Sendung übernommen wurde. Zu eigentlichen Hausautoren wurden jene, die über einen langen Zeitraum regelmässig Hörspiele schrieben und meist ein engeres Verhältnis zu einem der Regisseure entwickelten. Oft finden sich in ihrem Portfolio bis zu einem Dutzend oder mehr Hörspiele. Zu ihnen zählen Fritz Gafner (1967), Hanspeter Gschwend (1970), Hans Karl Müller (1970), Alain Claude Sulzer (1970), Gerold Späth (1971), Hans Peter Treichler (1977), Markus Michel (1977), Beat Ramseyer (1979) und Ernst Burren (1972).
Radio DRS wurde so während der «Abteilungsära» mit seiner Hörspielabteilung zu einer wichtigen Instanz der Förderung einheimischer Literatur. Davon profitierten nicht nur bestandene Autorinnen und Autoren, sofern sie noch am Radio interessiert waren, sondern vor allem auch junge, noch unbekannte Talente, die beim Hörspiel Anregung und im besten Fall eine Art Versuchswerkstatt fanden. Dieser mäzenatische Impetus hat sich – trotz aller institutionellen Wechselfälle – bis heute erhalten.
Programmstruktur und Öffentlichkeitsarbeit
Die 1966 eingeführte neue Programmordnung bedingte eine Änderung der bisherigen Praxis der Hörspiel-Wiederholungen, da die grundsätzlich verschiedene Definition der Hauptfunktionen von DRS-1 als Mehrheitsprogramm und DRS-2 als Kultur- und Bildungsprogramm die feste Zuordnung der einzelnen Produktionen zu einem der beiden Programme erforderlich machte. Auf die bewusste Platzierung der einzelnen Hörspiele entsprechend ihrer qualitativen Spezifität im ersten bzw. zweiten Programm legte man fortan grossen Wert. Die «Angehörigen der verschiedenen Hörerschichten» sollten «ganz genau wissen, wann und in welchem Programm sie die ihrem Geschmack am ehesten zusagenden Hörspiel-Sendungen erwarten können.»38 Die auf DRS-1 gesendeten Produktionen kann man mit Marc Valance als «Gebrauchshörspiele» mit einfachem Aufbau und leicht fassbarem Inhalt charakterisieren. «Sie setzen, ob sie einfach unterhalten oder eine menschliche oder gesellschaftliche Problematik behandeln, keine literarische Bildung oder Erfahrung voraus. Sie erzählen gradlinig, „konventionell“, meist chronologisch oder doch in einfachen zeitlichen Brechungen.»39 Die auf DRS-2 angesetzten Beiträge stellen dagegen «literarische Ansprüche. Hier wird das Hörspiel als Kunstform, als entwickelte literarische Gattung gepflegt. Der Hörer muss mit komplexen Formen und Erzählweisen zurechtkommen. Er muss die Form […] als eine Dimension des Kunstwerkes erkennen und imstande sein, sie als solche zu würdigen.» Die so bestimmten Hörspielprogramme auf den beiden Senderketten richten sich somit an deutlich verschiedene Zielpublika.
Mit der Bildung der Abteilung «Dramatik» wurde 1966 ein Sendeplan mit fünf fixen Hörspielterminen eingeführt. Ein weiterer Termin stand einmal monatlich für die Ausstrahlung eines experimentellen Hörspiels im Rahmen des «Montagsstudios» zur Verfügung, eines Sendegefässes, welches – in Ermangelung eines dritten Programms – allgemein für die Ausstrahlung anspruchsvoller, avantgardistischer Produktionen vorgesehen war.40 Im Sommer 1966 erschien in der offiziellen Programmzeitschrift ein «SOS-Ruf» eines interessierten Radiohörers «nach Wiederholung wertvoller Sendungen», der eine ganze Reihe weiterer Hörerreaktionen nach sich zog.41 Der Initiant regte an, dass kulturell interessante Produktionen – er dachte insbesondere an Fortsetzungssendungen von der Art der Gotthelf-Zyklen – mindestens zweimal ausgestrahlt werden sollten, um die Gefahr der Überschneidung von Sendeterminen und anderweitigen Verpflichtungen vieler interessierter Hörerinnen und Hörer zu reduzieren und damit mehr Flexibilität für den Empfang von Hörspielsendungen zu gewährleisten. Die Anregung wurde aufgenommen. An die Stelle der gelegentlichen Wiederholungen, meist mit einigem zeitlichem Abstand, im jeweiligen Parallelprogramm traten ab 1968 – als Dienstleistung für das Hörspielpublikum, wie sie mit Ausnahme des SFB von keinem anderen deutschsprachigen Sender angeboten wurde – regelmässige Zweitsendungen auf derselben Programmkette. Von den fünf wöchentlichen Fixpunkten waren fortan zwei für solche Wiederholungen neuer Eigenproduktionen innerhalb einer Woche reserviert.
Im Unterschied zu den regelmässigen Zweitsendungen, welche vor allem der Flexibilisierung des Empfangs dienten und im Grunde einer alten Forderung aus der Kriegszeit entsprachen, verfolgten sporadische Wiederholungen alter Hörspielproduktionen das schon in den dreissiger Jahren und dann erneut zu Beginn der sechziger Jahre formulierte Ziel, ein Repertoire aufzubauen und damit dem Hörspielpublikum auch einen gewissen historischen Überblick zu ermöglichen. Ab 1969 wurde das Reprisen-Programm meist in einen bestimmten thematischen Rahmen gestellt. Aus Anlass des Jubiläums «50 Jahre Radio» wurden im Herbst 1974 zahlreiche, mehrheitlich schweizerische Produktionen aus der Hörspielgeschichte wiederholt. Das umfangreichste Reprisen-Programm bildete die Reihe «Aus unseren Archiven», für welche von Januar 1979 bis Dezember 1983 zusätzlich ein wöchentlicher Sendetermin auf DRS-1 eingesetzt wurde. Von Januar 1987 bis Dezember 1990 stand auf DRS-2 unter dem Titel «Aus der Hörspielgeschichte» einmal monatlich eine Sendung im Programm, welche «die Begegnung mit exemplarischen Werken aus der Geschichte des Hörspiels […] von seinen Anfängen bis in die Nähe der Gegenwart» ermöglichen und dadurch «ein verschärftes historisches Bewusstsein […] schaffen» sollte.42 Zur Schaffung eines wirklichen «historischen Bewusstseins» müsste allerdings der kommentierende Teil über den blossen Ansagetext hinaus erweitert und bedeutend vertieft werden. Mit der sechzigteiligen Sendereihe zur «Geschichte und Typologie des Hörspiels» von Reinhard Döhl, die zwischen 1970 und 1986 von der Hörspielabteilung des WDR ausgestrahlt wurde, kann sich dieser bescheidene, betont publikumsnahe Versuch von Radio DRS in keiner Weise vergleichen.
Eine Zäsur bedeutet die Bildung der Abteilung «Dramatik» auch im Hinblick auf das Verhältnis zur Öffentlichkeit, das man zu intensivieren und möglichst aktiv zu gestalten versuchte. Seit Anbeginn sah man das Hörspiel als Marktprodukt, das es – so Hausmann wörtlich – zu «verkaufen» gilt43, und veranstaltete periodisch Pressekonferenzen, welche über Programmplanung und besondere Veranstaltungen orientierten. Ihr Material für Hinweise auf das Hörspielprogramm bezogen die meisten schweizerischen Tageszeitungen aus dem wöchentlich versandten Pressebulletin von Radio DRS, das die Angaben des Hörspiel-Programm-Bulletins (s.u.) in leicht redigierter und erweiterter Form übernahm. Um auch in der Tagespresse ausführlichere Hinweise und Besprechungen schon vor der Sendung zu ermöglichen, begann man im Laufe der siebziger Jahre Kassettenkopien von ausgewählten Produktionen an Zeitungsredaktionen zu versenden, welche dies wünschten. Eine Sendereihe mit dem Titel «Die Hörspiel-Werkstatt«44, welche 1971 zur Förderung junger Schweizer Autorinnen und Autoren im «Montagsstudio» eingeführt wurde, bot jeweils Kritikern die Gelegenheit, ihre spontane Reaktion auf eine soeben gehörte Produktion mit Autor und Regisseur zu diskutieren. Gelegentlich wurden die Zuhörenden ebenfalls einbezogen, indem man sie aufforderte, sich telefonisch zu den gehörten Experimenten zu äussern bzw. Fragen zu stellen. Diese und andere Massnahmen zielten bewusst auf die «Herstellung von Bindung der Benutzer an das Medium» ab.45
Schon bevor in der offiziellen Programmzeitschrift die Beiträge zum Radioprogramm hinter die Präsentation des Fernsehprogramms zurücktraten und an Attraktivität merklich einbüssten, entschlossen sich die Verantwortlichen der Abteilung «Dramatik», ein separates Hörspiel-Programm-Bulletin herauszugeben, das interessierten Hörerinnen und Hörern auf Wunsch regelmässig und bis Ende 1990 kostenlos zugestellt wurde. Dieses erschien ab Oktober 1967 alle vier Monate und stellte ein wichtiges Instrument dar, um das Interesse des Stammpublikums wachzuhalten und den Kreis der Hörspielfreunde allmählich zu erweitern. Die Erstauflage betrug 1’500 Exemplare. Zehn Jahre später wurden schon über 5’000 Exemplare versandt, und 1991 stieg die Zahl der Abonnemente auf über 9’000, obwohl in diesem Jahr infolge der prekären finanziellen Situation von Radio DRS erstmals ein Abonnementsbeitrag erhoben werden musste. Seit Anfang der achtziger Jahre wurde auch mit sogenannten «Trailers», kurzen, spot-artig gestalteten Hinweisen, die zwischen andere Sendungen eingestreut werden, für programmierte Hörspiele geworben.
1981 nahmen die Mitarbeitenden von Studio Zürich einen früheren Versuch der Basler Kollegen auf und luden die Hörerinnen und Hörer zum gemeinsamen Anhören und Diskutieren ausgewählter Produktionen in einem Restaurant ein. Dieser «Hörspiel-Apero», der in der Folge von allen drei Studios eingeführt wurde, ist zwar im Hinblick auf seinen Werbe-Effekt kaum von Bedeutung, doch wurde er von den Regisseuren als eine ausgezeichnete Gelegenheit begrüsst, um mit dem sonst anonymen Publikum, oder genauer: mit einem besonders interessierten Teil davon, in Kontakt zu treten und Rückmeldungen über die Wirkung ihrer Arbeit zu erhalten. Karl H. Karst hat in solchen Veranstaltungen einen Versuch gesehen, frühe radiotheoretische Ansätze von Brecht, Pongs und Kolb in die Praxis umzusetzen und «die „einkanalige“ Distribution wenigstens kurzzeitig und an einem Ort in Kommunikation zu verwandeln», den «Einzelempfänger zum Gemeinschaftsempfänger zu machen, mit unmittelbarer (Sende-)Resonanz, Kritik, Interaktion.»46 Wenn möglich nahmen auch die AutorInnen und/oder einzelne DarstellerInnen der vorgeführten Produktionen an den Veranstaltungen teil. Diese erfreuten sich allerdings in den drei Studiostädten unterschiedlicher Beliebtheit. Während man in Zürich und Bern in der Regel mit 20 bis 60, im Maximum sogar mit bis zu 150 Teilnehmenden, rechnen konnte, musste der Basler Apero 1984 mangels Publikumsinteresses aufgegeben werden.
Kurzgefasster Ausblick…
Wie die lange Zeit der vierzig Jahre nach dem Ende der Abteilung «Dramatik und Feature» zu gliedern ist, kann ich von meinem Standort aus nicht schlüssig beurteilen. Im Unterschied zu den drei anfangs besprochenen Perioden scheinen mir Einschnitte nach dem Schema Krise und Neubeginn nicht erkennbar. Die Kultur der Abteilungsära war mit deren institutionellem Ende auch keineswegs abgeschlossen, sondern überlebte und dauert in Ausläufern bis heute an. Man denke etwa an das erfreuliche, produktive Verhältnis zwischen den Hörspiel-Teams von Radio SRF und Hörspiel-Autorinnen und -Autoren.
Eine starke Veränderung bedeutete wohl für die Hörspielproduktion die Digitalisierung und die damit verbundene Ergänzung des herkömmlichen «linearen» Radioprogramms durch diverse permanente Online-Angebote in Form von Podcasts. Die Hörspiel-Sammlung von «play SRF» kann zwar nicht mit dem seit der Radio-Pionierzeit geforderten Hörspiel-«Repertoire» gleichgesetzt werden, aber hier steht nun eine grosse und stetig wachsende Anzahl von Hörspielen (auch einige aus fernerer Vergangenheit) auf Abruf zur Verfügung – was man sich in Abteilungszeiten, als der Cassetten- und CD-Verkauf ausgewählter Produktionen initiiert wurde, nur erträumen konnte. Rolf Hürzeler schrieb 2016 unter dem Titel «Neuer Schwung fürs Hörspiel», das Radiohörspiel erlebe derzeit «eine Renaissance, auch dank der technischen Entwicklung.»47 In der Schwebe bleibt allerdings, wann genau und mit welchen Produktionen die neue Epoche einsetzte und wie sich dies auch formal und inhaltlich äusserte. Der Journalist konkretisiert die Einflüsse der informationstechnologischen Entwicklung folgendermassen:
«Die Digitalisierung der letzten zwanzig Jahre bedeutete wie in allen Kulturformen eine Revolution. Sie veränderte die Postproduktion, die Nachbearbeitung von Hörspielen, nachdem sie im Studio aufgenommen worden waren. Allerdings wurde diese Arbeit damit anspruchsvoller – mit einem viel präziseren Schnitt oder einer schier unendlichen Auswahl von Geräuschen und akustischen Effekten. […]
Dank der Digitalisierung erlebt zudem das freie Hörspielschaffen einen enormen Aufschwung, zumal die Produktionskosten nicht mehr ganz so hoch sind wie früher.»
Um zu einem Ende zu kommen, liste ich im Folgenden einige Errungenschaften der Abteilung «Dramatik und Feature» einfach auf, die über die Jahrtausendwende hinaus bedeutende Auswirkungen bis in die Gegenwart hatten:
- Verhältnis zu Autorinnen und Autoren auf Augenhöhe und kreative, produktive Zusammenarbeit
- Entdeckung und Förderung junger literarischer Talente
- «Versuchswerkstatt» für Autorinnen und Autoren
- Aufgeschlossenheit gegenüber der ausländischen Hörspiel-Produktion und Kooperation/Koproduktion mit ausländischen Sendeanstalten
- Aufgeschlossenheit gegenüber Experimenten
- Integration des Features und des O-Ton-Hörspiels und deren Stilmittel
- erfolgreiche Versuche mit Improvisation im Hörspiel
- Förderung von Hörspielen in Mundart als Alltagssprache, zum Teil in direkter Beziehung zu Standard-Deutsch und anderen Sprachen des europäischen Raums
- Hörspiel als Sprachspiel, teils unter starkem Einfluss der spoken-word-Bewegung
- experimentelle Ansätze zur Integration von Wort und Musik
Die Liste ist nicht abgeschlossen…
- Padel, Gerd H, Schweizer Radioprobleme im Zeitalter des Fernsehens (auszugsweiser Abdruck eines Vortrags): I. in: r+f 22/67, S.5 ↩︎
- vgl. Anonym, Die Radiohörer in der deutschen Schweiz (1972), SRG-Publikumsforschung, Bern (SRG) 1973 ↩︎
- Padel, Gerd H., Radio im Zeitalter des Fernsehens, in: SRG Jahrbuch 1965/66, 35.Bericht, S.22 ff, S.23 ↩︎
- Molo, Stelio, Das Radio heute und morgen, in: SRG, 39.Jahresbericht, 1969, S.14 ↩︎
- Hausmann, Hans, Das Hörspiel am Schweizer Radio. Eine vorläufige Bilanz, in: NZZ, 6.11.71 ↩︎
- vgl. K.W., Der Leiter der Abteilung Dramatik: Hans Hausmann (Interview), in: r+f 39/65, S.6 f ↩︎
- Hausmann, Hans, Die Konkurrenz des Fernsehens – ein Segen für das Hörspiel: Das Hörspiel in der Schweiz, in: Thomsen Christian W. / Schneider, Irmela (Hrsg.), Grundzüge der Geschichte des europäischen Hörspiels, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1985, S.156 ↩︎
- Hausmann, 1971 ↩︎
- Helmensdorfer, Urs, Das Hörspiel I: Das Hörspiel zwischen Dokument und Dichtung. Anfänge und Möglichkeiten einer asketischen Gattung; Das Hörspiel II: Höhepunkte des Hörspiels, Vortragsmanuskript, Bern (RDRS, Abt.Dramatik) 1972, S.14 ↩︎
- Pulver, Elsbeth, Die deutschsprachige Literatur der Schweiz seit 1945, In: Gsteiger, Manfred (Hrsg.), Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Die zeitgenössischen Literaturen der Schweiz, Zürich/München (Kindler) 1974, S.356 ↩︎
- Wessels, Wolfram, Die Stimme der Heimat. Radio und Hörspiel in der Schweiz, Radio-Soirée (Koproduktion SWF/RDRS, 1987); das Zitat von Hans Hausmann ist der Tonbandaufzeichnung eines Interviews vom 1.6.88 entnommen ↩︎
- Hausmann, 1985, S. 154 ↩︎
- K.W., 1965, S.6 ↩︎
- Frisch, Max, Überfremdung 2, in: Frisch, Max, Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, 6 Bände, hrsg. von Hans Mayer unter Mitwirkung von Walter Schmitz, FfM. (Suhrkamp) 1976, Bd.V, S.397 ↩︎
- Pulver, 1974, S.355 ↩︎
- Hausmann, 1985, S.156 ↩︎
- K.W., 1965, S.6 ↩︎
- Hausmann, 1971 ↩︎
- ms. [= Martin Schlappner], Probleme des Hörspiels: I. Hat das Hörspiel ausgedient? in: NZZ, 19.2.72; II. Das schweizerische Mundartspiel, in: NZZ, 26.2.72 ↩︎
- Die Zahl der Radiokonzessionen überstieg 1973 die Zweimillionengrenze. ↩︎
- Kaufmann, Peter A., Hörspiele – Radio für Minderheiten, in: Die Tat, 11.6.76 ↩︎
- vgl. Schöning, Klaus (Hrsg.), Spuren des Neuen Hörspiels, FfM. (Suhrkamp) 1982, S.35; 1980 wurde das Kurzhörspiel »Kunschtverstand« von Annemarie Treichler, 1982 die O-Ton-Collage »Reden ist Geld« von Heiner Ueberwasser, fünf Kurzhörspiele unter dem Titel »Das goht doch ned!« von Hansjörg Schneider sowie fünf Kurzhörspiele von Doris Bieri jeweils im Informationsmagazin »Agenda« auf DRS-1 ausgestrahlt; auch später wurden vereinzelt weitere solche Projekte realisiert. ↩︎
- Tscharner-Speitel, Cécile von, Hörspiele beim deutschschweizerischen Radio unter besonderer Berücksichtigung der Zeit seit dem Bestehen der Abteilung Dramatik von 1965 an, Lizentiatsarbeit (Referent: Prof. Dr. L. Wiesmann), Basel 1974 ↩︎
- che. [= Christoph Egger], Zur Situation des Hörspiels von Radio DRS: I. Weder »volkstümlich« noch »elitär«, in: NZZ, 22.1.82; II. Kultur des Hinhörens, nicht Spektakel, in: NZZ, 29.1.82 ↩︎
- Hausmann, 1985, S.157 ↩︎
- Helmensdorfer, Urs, Kunst der Mündlichkeit. Persönliche Gedanken zum Hörspiel bei RDRS, in: Schweizerischer Schriftsteller-Verband, 1985, S.5 ↩︎
- These von Günter Rohrbach: »Das Fernsehspiel ist durch das Fernsehen bedroht und das Hörspiel durch das Radio.« (Rohrbach, Günter, In Gefahr und grösster Not, bringt der Mittelweg den Tod. Eröffnungsreferat bei der Internationalen Hörspieltagung der Europäischen Rundfunkunion EBU/UER im April 1987 in Köln, auszugsweise abgedruckt in: Hörspielprogramm des SWF, Sommer 1988, S.6); Stellungnahme von Hans Hausmann: Tonbandaufzeichnung eines Interviews vom 1.6.88 ↩︎
- Spielmann, Ursula, Wie das Hörspiel zu seiner Renaissance kam, in: Basler Zeitung, 19.3.83, S.45; Valance, Marc, Entstehung und Programmation von Hörspielen: I. in: Zoom, 20/84, 17.10.84, S.32; Valance meinte, das Hörspiel gewinne «an Boden, als Unterhaltungsform, als literarische Gattung», und er verwies auf das wachsende Interesse von Hörern der Lokalradios, die ihre Sender anfragten, warum sie keine Hörspiele produzierten, von Schulen, die dem Hörspiel in der Medienerziehung einen Platz einräumten, und auch von Seiten der Wissenschaft. ↩︎
- Kaufmann, Peter A., Hörspiele im Abseits? in: Solothurner AZ, 28.5.83; Wursternberger, Ursula von, Es (über)lebe das Hörspiel! in: Glarner Nachrichten, 11.8.83 ↩︎
- Spielmann, 1983, S.45 ↩︎
- Tonbandaufzeichnung eines Interviews mit H.Hausmann vom 1.6.88 ↩︎
- Bienek H., Werkstattgespräche mit Schriftstellern, München (dtv) 1965, zit. nach: Frisch, 1976, Bd.IV, S.33 ↩︎
- vgl. die Schreiben von R.J.Humm vom 23.8.45 und 28.8.45 an J.Job sowie dessen Antwort vom 1.9.45 (Briefarchiv RDRS, Studio Zürich); Humm hatte aus eigenem Antrieb sein Puppenspiel «Der Ritter zwischen Stern und Blume» für das Radio bearbeitet und an der Inszenierung selbst mitgewirkt. ↩︎
- Diggelmann, Walter Matthias, Das Abenteuer Hörspiel. Persönliche Notizen zu einer neuen dramatischen Gattung, in: TA, 13.3.64, S.37 ↩︎
- vgl. Muschg, A., Wüthrich im Studio, in: r+f 9/62, S.10 ↩︎
- vgl. Muschg, A., Das Kerbelgericht, in: r+f 10/69, S.70 ff; abgedruckt auch als Nachwort zur Buchausgabe, Zürich (Arche) 1969, S.49 ff ↩︎
- vgl. Imhof, P., Seelenwüste. Hörspiel von Adolf Muschg: »Why, Arizona«, in: tvrz 18/77, S.20 ↩︎
- Pgr 2/68, S.1 ↩︎
- Valance, Marc, Entstehung und Programmation von Hörspielen: I. in: Zoom, 20/84, 17.10.84, S.30 ff; II. in: Zoom, 21/84, 7.11.84, S.31 ↩︎
- Das «Montagsstudio» wurde auch als «quasi 3. Programm» vorgestellt. (Pgr 1/70, S.2) ↩︎
- Pfister, P., Ein SOS-Ruf nach Wiederholung wertvoller Sendungen, in: r+f 24/66, S.5; R., Sollen wertvolle Sendungen wiederholt werden? [Auszüge aus Hörerzuschriften], in: r+f 31/66, S.3; vgl. auch Weibel, Kurt, Der Skandal der Wiederholung, in: r+f 19/65, S.5 ↩︎
- Pgr 1/89, S.2 ↩︎
- Tonbandaufzeichnung eines Interviews mit H.Hausmann, 1.6.88 ↩︎
- vgl. Weibel, Kurt, Hörspiel-Werkstatt, in: tvrz 40/74, S.5 ↩︎
- Valance, 1984, S.32 ↩︎
- Karst, Karl Heinz, Staubfänger Hörspiel. Schleichwege aus dem Rundfunkarchiv, in: epd / Kirche und Rundfunk, Nr.82, 20.10.82, S.1 ff, S.2 ↩︎
- Hürzeler, Rolf, Neuer Schwung fürs Hörspiel, NZZ, 20.2.2016 ↩︎
Anhang: Ausschnitte aus einem Interview mit Hans Hausmann vom 1.6.1988
Das Interview fand in der lärmigen Umgebung der Kantine von Radio DRS, Studio Basel, statt. Stellen, die akustisch nicht verständlich sind, habe ich wie Auslassungen mit […] gekennzeichnet.
Förderung des Originalhörspiels:
00:00:40 Mi het gschtört domols [vor 1965], das me praktisch nume die grossi Literatur gmacht het und vil zvil Adaptierige vom Theater. Und i ha eifach gfunde, mer müend, also, wenn ich jemols öppis z’sage ha, müemer uf Originalhörspil…
Abteilung «Dramatik» mit Vorort Basel:
00:07:40 Es isch vorhär scho bi der «Unterhaltig» isch s Vorortsprinzip iigfüert worde: Basel isch Vorort gsi, ohni dass es en übergriffendi Abteilig gsi isch […] Und denn ischs so quasi übernoo worde, aber mit ere richtige-n-Abteilig, wo über alli drei Studio… wo en Abteiligsleitig neime sitzt und drei Ressorts het.
Blütezeit des Schweizer Hörspiels in den 70er Jahren:
00:08:50 Es het sicher gwunne, damals, klar, und s isch jo in de fuffzger Johr totgseit gsi […] Und dass s Hörspil wider choo isch: Die Dütsche hänns uns nit vil liechter gmacht mit ihrem Neue Hörspil, wo si nit nur d Intendanz, sondern au d Hörer vertribe und verärgeret hän – wäge dere-n-Usschliesslichkeit […] Und so ischs denn eigentli wider cho, mer hän eigetli e guete Stand gha Ändi sibzger Johr.
Zielpublikum Autofahrer:
00:11:00 Das wär doch e Chance: d Autofahrer, wome-n-immer vergisst. Also, ich weiss no vo sottig, wo noch e paar Meter parkt hän. Das sin Lüt, vo däne ich aagnoo hät, dass si nid emol wüsse, was es Hörspil isch. Die händ nüt gseit, unuufgforderet, die sind vor em Belchetunnel uf Parkfälder gfahre, um s Hörspiel fertig z lose. I han en Kolleg, dä het gseit: Los, i bin i mis Feriehüsli im Toggeburg gfahre und bi vor der Hustüüre im Auto sitzeblibe, wil i die zwei Minute vom Auto bis zum Radio nid ha welle verpasse – e Kolleg! Also ich tänk, wemmes richtig macht – e irrsinnigi Chance!
Kontakt zu Autorinnen und Autoren nach 1965:
00:12:40 Do isch es im Arge gläge [das Verhältnis zu den Autoren, 1965], niemer het sich drum kümmeret. Und denn hani gseit: Chinder, jetz müemer aber! Jetz müemer! Und mer müen an die privat, jede-n-einzeln, a die aanecho, privat mitem rede, und was es choscht, isch mir wurscht. Ich weiss, das isch a einer vo mine-n-erschte Sitzige gsi. Das mues aafoo! Und denn hend sich […] usebildet, do het Züri e Vorrang bildet, usem ganz eifache Grund, wil di Meischte [Autorinnen und Autoren] in der Aglomeration Züri wohne …
Aufbau und Dramaturgie eines guten Hörspiels:
00:18:30 Ich meinti, ich ziehn allewil no vor: the beginning, the middle and the end, de klassischi dramatischi Abauf. S Schwierigsti schiint jo – weltweit – e guete Schluss z’finde, Pointe oder Schluss an sich – und denn halt Dialog schriibe chönne. Vili – au grad bi uns – reihe denn quasi ei Erzähler an andere. […] Und Originalhörspiel profitiere dervo, dass es für billigstes Entgelt alles zur Verfüegig het: Ziitsprüng, die tollschte Dekorationswächsel innerhalb von ere Zähntelssekunde, akustisch-rümligi Verschiebige vo A zu B und sogar no liechter als Überbländige-n-im Film, und vo däm sottme vil meh Gebruch mache.
The beginning, the middle and the end in der Entwicklung der Abteilung:
00:26:50 …the end: jo, leider, und zwar, wil d’Bürokratie halt, wie überall, aber das tröstet nid, halt total überhand gno het. Es wärde denn Organigramm und Raster wärde-n-igsetzt, wo aber mitem effektive Produkt nüt z’tue hän und nüd druf passe.
Höhepunkt 70er Jahre:
00:27:25 Siebziger Jahre – gute Zeit! Ufbau 65 – 70, im 73 ebe do die ganze Seminar, afang siebzger Johr UER-Tagig do z Basel. […] Me het’s Vertraue gha, em Hörspiel passiert nie öppis. Ich glaub, wo-n-ich gange bin, han ich gseit: Es git Papier, jetz gohts ans Läbig!
Stellenwert des Hörspiels im Radio:
00:33:20 Es isch meh, das s’Hörspil zwar nid bestritte-n-isch, aber das es au nid e sichtbari Ruggedeckig kriegt.
Hören Hörspiel-Autorinnen und -Autoren Hörspiele?
01:59:30 Nei, überhaupt nid! – nei! – nei! Mer händ si gfrogt, überhaupt nid! Null!
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